Neunzehntes Kapitel. Die Gliederung des Staates. 651
erschienen, zumal Österreich-Ungarn sie auch nach außen hin
vertrat. Ihre Verbindung mit dem türkischen Reiche hatte wesent-
lich nur die völkerrechtliche Bedeutung, daß Österreich-Ungarn
gehindert war, sie ohne Zustimmung der Pforte und der übrigen
Signatarmächte der Berliner Kongreßakte einem seiner beiden
Staatsgebiete zu inkorporieren!).
Völkerrechtlicher Erwerb kann auch grundsätzlich von dem
Staatsgebiet des Erwerbers getrennt bleiben. Ein hervorragendes
Beispiel hierfür sind die deutschen Schutzgebiete. Diese sind der
Herrschaft des Deutschen Reiches unterworfen, allein sie bilden
keinen Bestandteil des verfassungsmäßig umschriebenen Reichıs-
gebietes. Sie gehören dem Reiche, aber nicht zum Reiche. Sie
sind daher grundsätzlich für das Reich Ausland im staatsrecht-
lichen Sinne?). Ferner sind die Angehörigen der Schutzgebiete
nicht deutsche Reichsangehörige. Es kann solchen Angehörigen
zwar die Reichsangehörigkeit verliehen werden, dazu ist aber
stets ein streng Individualisierter Verwaltungsakt notwendig. Der
1) Durch Handschreiben vom 5. Oktober 1908 erstreckte der Kaiser
von Österreich und König von Ungarn die Rechte seiner Souveränität
auf Bosnien und die Herzegowina. Im Vertrage vom 26. Februar 1909
erkannte die Pforte den so geschaffenen Zustand als gültig an. Die beiden
Länder sind also nicht mehr türkische Provinzen. Sie sind aber auch
nicht zu Staaten erhoben worden. Zwar haben sie ein besonderes Gebiet
und eine besondere Landesangehörigkeit. Allein Träger der Staatsgewalt
sind nicht die beiden Länder, sondern Österreich-Ungarn, und das wider-
streitet ihrer Staatsnatur. Die beiden Länder haben eine gewisse Ähn-
licbkeit mit dem Reichsland Elsaß-Lothringen, man hat sie auch mit
Kolonien verglichen. Über die ganze Frage Tezner Der Kaiser 1909
S.268; Fr. Kleinwächter jun. ın der Ztschr. f. Politik III 1910
S,138ff.; Steinbach im Jahrb. d.ö.R. IV 1910 S. 481ff.;, Bernatzik
Die österreichischen Verfassungsgesetze 2. Aufl. 1911 S. 1033; Lamp im
Jahrb.d.ö.R.V 1911 S.165££f., 205ff. u. ım Arch.d.ö.R. 27, Bd. 1911
S.307f£.; Rehm Das Reichsland Eisaß-Lothringen 1912 S. 121£.;
B.Brunsky L’annexion de la Bosnie et de la Herzegovine 1912 p. 110.
— Wegen der Völkerrechtswidrigkeit der Annexion: G. Jellinek Ausg.
Schrifterrı und Reden Il 1911 S. 508 ff.
2) So die herrschende Ansicht, der jetzt Köbner, Deutsches
Kolonialrecht, in Kohlers Enzykl. II S. 1090, mit der Behauptung ent-
gegentritt, daß die Schutzgebiete nicht Ausland, sondern Nebenländer
seien. Allein Ausland im staatsrechtlichen Sinne ist alles, was nicht
gesetzlich zum Reichsgebiet gehört, wie Laband, II S.286f., treffend
ausführt. Vgl. auchHeilborn im Arch. f. Rechts- u. Wirtschaftsphilosophie
VI 1913 S. 5ff.