Neunzehntes Kapitel. Die Gliederung des Staates. 655
staatliche Geschäfte besorgen. Sie sind aber nicht Organe des
Gesamtstaates, da ihre Funktionen auf Grund der verfassungs-
mäßigen Lage der Dinge gar nicht in dessen Kompetenz fallen.
Das Charakteristische dieser Landesorgane liegt darin, daß alles
im Lande als solchem geübte Imperium die gemeinsame Tätigkeit
von Landesorganen und herrschender Staatsgewalt voraussetzt.
Die Landesgesetze werden von der Staatsgewalt sanktioniert, die
Landesbehörden von ihr oder in ihrem Auftrag bestellt. Das
Eigentümliche der mit eigenen Organen ausgestatteten Länder
liegt demnach darin, daß in ihnen zwei Gattungen öffentlicher
Organe zur Versehung der staatlichen Funktionen nötig sind,
während die Funktionen der Gemeinden ausschließlich durch
Gemeindeorgane besorgt werden können, die des Staates aus-
schließlich durch Staatsorgane besorgt werden. Im Lande können
jedoch die Landesorgane niemals ohne Staatsorgane, die Staats-
organe mindestens nicht in bestimmten Fällen ohne Mitwirkung
von Landesorganen tätig werden. So haben die britischen Kolo-
nien ihre nur den Koloniallegislaturen verantwortlichen Kabinette,
ihre eigenen Gerichtshöfe, ihre eigenen Truppen und ihre eigenen
Kriegsflotten?).
Solche Länder haben stets besondere Verfassungen, die ihnen
von den über sie herrschenden Staaten verliehen sind. In manchen
Fällen ist sogar jede Abänderung der Landesverfassung nur
mit Zustimmung der legislatorischen Landesorgane möglich.
3. Die Desorganisation eines Staates kann aber so weit
gehen, daß auch rechtlich der nichtstaatliche Charakter seiner
Glieder zweifelhaft wird. Das ist heute der Fall mit der Stellung
Kroatien-Slawoniens im ungarischen und der Finnlands ım rus-
1) Über die eigentümliche kanadische Provinzialorganisation vgl.
Munro The Constitution of Canada 1889 ch. IV—X. Über die neue
australische Verfassung vgl. namentlich das angeführte Werk von
W.H.Moore und Hatschek St.u.VR. v. Australien 1910 S.9ff. Auf
sie hat die amerikanische Konstitution erheblichen Einfluß genommen.
Literarisch haben das Werk von Bryce über Amerika und das von der
deutschen Wissenschaft beeinflußte, oben S.66 Note zitierte Buch von
Burgess auf sie eingewirkt; vgl. Moore p. 64,65 (2.ed.p. 66). Das
Recht der südafrikanischen Union harrt noch der wissenschaftlichen Be-
handlung; die maßgebenden Bestimmungen findet man in englischer und
holländischer Sprache zusammengestellt in den Statutes of the Union of
South Africa 2 vol. 1912, die South Africa Act außerdem in der Ztschr.
f. Völkerrecht und Bundesstaatsrecht V 1911 S. 324 ff.