Zweites Kapitel. Die Methodik der Staatslehre. 37
Aufgabe der Wissenschaft vom Staate, insoweit ihr Objekt
nicht. ausschließlich der einzelne Staat bildet, ist cs nun, diese
empirischen Typen staatlicher Verhältnisse zu finden. Analoge
soziale Zusammensetzung, analoge geschichtliche Entwicklung,
analoge äußere Bedingungen wirken analoge politische Bildungen
aus. Kraft des historischen Zusammenhanges, der die in Kultur-
gemeinschaft stehenden Staaten miteinander verbindet, setzen
sich die typischen Elemente überall neben den individuellen
durch und gestalten sich diesen entsprechend um.
Gefunden werden diese empirischen Typen auf induktivem
Wege, also durch sorgfältige Vergleichung der einzelnen Staaten,
ihrer Organisation, ihrer Funktionen. So einfach aber dieses
methodische Prinzip zu sein scheint, so notwendig einerseits
und schwierig anderseits ıst es, die eigentümlichen Grundsätze
sich zum Bewußtsein zu bringen, welche die Induktion auf
diesem Gebiete beherrschen.
Zunächst darf die Vergleichung nicht zu weit getrieben
werden. Wer Staaten und staatliche Einrichtungen der ver-
schiedensten Kulturstufen und der entlegensten Zeiten miteinander
vergleicht, erhält entweder sar keine oder nur ganz farblose,
jeglicher Bestimmtheit entbehrende Typen. Je weiter nämlich
die Vergleichung getrieben wird, desto mehr individualisierende
Elemente müssen vernachlässigt werden, desto weniger Erkenntnis
wird also durch das Aufstellen des Typus gewonnen. Was von
den historischen Gesetzen gesagt wurde, daß sie meist nur Platt-
heiten und Gemeinplätze darbieten, das gilt auch von der zu
weit getriebenen Generalisierung in den Gesellschaftswissen-
schaften. Das zeigen deutlich die Versuche, eine allgemeine
vergleichende Rechtswissenschaft zu schaffen. Insofern diese
nämlich aus dem von ihnen herbeigetragenen Material gemein-
gültige Typen der Rechtsentwicklung aufstellen, bringen sie ent-
weder nur vage Allgemeinheiten zustande, wie z. B., daß die
Raubehe sich zur Kaufehe wandelt, daß die Blutrache der öffent-
lichen Strafe vorangeht, daß Ordalien auf gewisser Kulturstufe
überall Beweismittel bilden!), daß die Leviratsehe sich bei einer
großen Zahl von Völkern vorfindet?), oder sie führen zu dem
!) Kohler Das Recht als Kulturerscheinung 1885 S.8ff., 20£f., 23.
2) Vgl. Post Einleitung in das Studium der ethnologischen Juris-
prudenz 1886 S. 28ff.