664 Drittes Buch. Allgemeine Staatsrechtslchre.
Einteilungen aber, die auf Analogien beruhen, haben nur einen
sehr geringen und bedingten Wert!).
Muß man nun überhaupt auf eine Einteilung verzichten,
die uns kraft allgemeiner Merkmale mit Sicherheit den ganzen
Lebensprozeß der Staaten erkennen lehrt, so bieten doch die
Staaten in aller Fülle der historischen Erscheinungen feststehende
Typen dar. Es gıbt nämlich in allen Staaten konstante, überall
im Wechsel aller Besonderheiten gleichbleibende Verhältnisse.
Das sind die formalen \Willensverhältnisse, auf denen die
Staatsgewalt und ihre Beziehung zu den Staatsgliedern ruht.
So weit auch ägyptisches Königtum sich vom kaiserlichen Rom
und dieses vom Frankreich Iudwigs XIV. oder vom heutigen
Rußland unterscheiden mögen, die Tatsache, daß ein physischer
Wille ın all diesen Staaten die gesamte Staatsgewalt darstellt,
ist in aller sonstigen Mannigfaltigkeit dieser Staaten in gleicher,
nicht nur in analoger Weise ausgeprägt. Eine die Einsicht in
das Wesen des Staates mehrende Einteilung kann daher nur auf
Grund der in ihm zum Ausdruck gelangenden konstanten Willens-
verhältnisse erfolgen. Diese grundlegenden Willensverhältnisse
sind aber die Basıs der Verfassungen der Staaten. Die wissen-
schaftliche Einteilung der Staaten ist die nach den Formen, die
diese darbieten.
Es gehört zu den genialsten Gedanken der antiken Staats-
wissenschaft, daß die Staatsformen identisch mit den Verfassungs-
formen sind. Was immer in staatlichen Dingen sich ändert, ge-
wisse abstrakte Willensverhältnisse bleiben unter allen Umständen
t) Anders verhält es sich mit den keine systematische und er-
schöpfende Einteilung bezweckenden Kategorien, die aufgestellt werden,
um den Standpunkt zu kennzeichnen, von dem aus eine bestimmte Art
von Staaten wissenschaftlich betrachtet werden soll. Wenn z.B. vom
antiken Staate die Rede ist, so werden damit die nur den hellenischen
Staaten und dem alten Rom eigentümlichen Institutionen gemeint, ohne
daB damit an ein allen möglichen Staaten zugrunde zu legendes Ein-
teilungsprinzip gedacht würde. Oder wenn der Historiker den Feudal-
staat schildert, wobei er natürlich nur gewisse, den Bau und Lebens-
prozeß der vom Lehnswesen beherrschten Staaten im Auge hat. Solche
Mannigfaltigkeit von Kategorien läßt sich nicht vermeiden und ist auch
für die verschiedenen Zwecke, die man in der Betrachtung der Staaten
verfolgen kann, ganz ersprießlich, wofern man es nur vermeidet, aus
diesen zu solch praktisch-wissenschaftlichen Zwecken aufgestellten
relativen Typen absolute Einteilungsprinzipien für die Gesamtheit der
Staaten abzuleiten, die tiefere Einsicht in ihr Wesen gewähren sollen.