Zwanzigstes Kapitel. Die Staatsformen. 693
Vertrages eine scheinbare Ausnahme. Doch kann sie noch immer
in außerordentlichen Fällen vorübergehend’ entstehen. Die Ein-
setzung von Dynastien in neugebildeten Staaten geht heute natur-
gemäß auf dem Wege der Wahl vor sich, wie während des
19. Jahrhunderts Belgien und die christlichen Staaten der Balkan-
halbinsel gezeigt haben. Beim Wegfall der Dynastie ohne ‚ver-
fassungsmäßige Vorsorge für eine neue ist sie auch fernerhin
das normale Mittel zur Besetzung des Thrones, und zwar sind
mangels abweichender Festsetzungen solchen Falles die Kammern
als das verbleibende unmittelbare Organ berufen, die Wahl vor-
zunehmen. Derartige Wahlen waren die Wilhelms III. und der
Maria durch das englische Parlament, Amadeos von Savoyen
durch die spanischen Kammern (1873). Ähnlich wie die Wahl
wirkt die Bestätigung des durch Usurpation erworbenen Thrones
durch Volksschluß, wie die Praxis der Bonapartes in Frankreich
zeigt. Diese außerordentlichen Wahlen und Bestätigungen be-
rufen aber ın der Regel nicht nur eine individuell bestimmte
Person, sondern eine Dynastie, aus deren Mitte die künftigen
Träger der Krone entstehen, was formell durch eine Ergänzung
der Verfassungsgesetze ausgesprochen zu werden pflegt.
Daß in der Erbmonarchie nur im bildlichen Sinne von der
Erblichkeit der Krone gesprochen werden kann, bedarf vom
Standpunkte der heutigen Staatsordnung kaum näherer Aus-
führung. Nicht der Monarch erbt die Krone, sondern die Krone
den Monarchen; die bleibende staatliche Institution nimmt beim
Thronwechsel einen neuen ÖOrganträger auf. Die Gesamtheit
der auf die Thronfolge bezüglichen Sätze ist rein öÖffentlich-
rechtlicher Natur, daher auch ausschließlich der staatlichen Ver-
fassungsgesetzgebung unterworfen. Dieser Gedanke ist aber erst
in der Ordnung der heutigen Monarchie klar ausgeprägt worden.
Solange die Anschauung vom Staate als Patrimonium des Fürsten
vorherrscht und den Gedanken des Fürstenamtes zurückdrängt,
ist die Thronfolge mit privatrechtlichem Erbgang identifiziert
worden. Solange die Vorstellung der Staatseinheit nicht vor-
handen ist, werden Staaten gleich Erbschaften geteilt. Im .Wider-
stand der politisch mächtigen Volksklassen gegen die Teilungen
regt sich auch die Idee, daß der Staat kein Objekt eines Familien-
besitzes sei, und die Herausbildung des einheitlichen Staates läßt
die öffentlich-rechtliche Natur der Thronfolge aus ihrer privat-
rechtlichen Umhüllung zuerst hervortreten. Dem privatrechtlichen,