Full text: Allgemeine Staatslehre

Zwanzigstes Kapitel. Die Staatsformen. 107 
Beide Formeln wurden in Frankreich gefunden. Unter dem 
Einflusse der Lehre Rousseaus und der amerikanischen Ver- 
fassungsgesetzgebung seit 1776 wird die Volkssouveränetät als 
die selbstverständliche Grundlage der Verfassung betrachtet. Ihr 
zufolge wird der König vom Volke nur mit delegierter Gewalt 
ausgestattet und ist nur Vollstrecker des im Gesetze nieder- 
gelegten Volkswillens. In scharfem Gegensatze zu diesem zuerst 
in der französischen Verfassung von 1791 niedergelegten demo- 
kratischen Prinzip stehen jene Verfassungen, die nach dem Vor- 
bilde der Charte Ludwigs XVII. das monarchische Prinzip 
verkünden, indem sıe alles Imperium ın der Hand des Monarchen 
lassen, so daß die Kammern nur an dessen Ausübung teilnehmen 
können. Während daher die englische Verfassung im Laufe der 
Geschichte begleitet, aber nicht wesentlich beeinflußt von ab- 
strakten Theorien sich entwickelt hat, erscheinen die kon- 
tinentalen Verfassungen mit als das Produkt allgemeiner Theorien, 
die mit allen ihren Fehlern zur Grundlage des geltenden Rechtes 
erhoben werden. 
Der demokratische Typus des kontinentalen konstitutionellen 
Staates ıst nun kein anderer als der parlamentarische. Die 
Basıerung des Königtums auf die Volks-, oder, was dasselbe besagt, 
die Nationalsouveränetät, wie in der belgischen Verfassung, hat 
juristisch gar keine Folgen für die Stellung des Königs zum 
Volke. Der Satz, daß der König nur die ihm ausdrücklich ver- 
fassungsmäßig zugesprochenen Rechte habe, daß also, im Gegen- 
satz zu den Staaten mit überwiegender königlicher Gewalt, die 
Vermutung gegen die Zuständigkeit des Königs streite, ist recht- 
lich ganz bedeutungslos, weil dem König alle Attribute seiner 
Stellung in der Verfassung vollständig gegeben worden sind, 
Zweifel daher kaum auftauchen können!). Sollte aber wider 
an 
1) Die Rechte des belgischen Königs decken sich vollständig mit 
denen der Krone eines altmonarchischen Staates. Höchstens in der 
Bestimmung, daß die königliche Gewalt vom Monarchen erst nach 
Ableistung des Verfassungseides ausgeübt werden kann (Art. 79, 80), 
liegt eine Abweichung von dem monarchischen Typus, für die sich 
aber auch in alten Monarchien Analogien finden (vgl. z.B. die Stellung 
des noch nicht gekrönten Königs in Ungam). Wesentliche rechtliche 
Unterschiede bestehen bloß in der Stellung der Kammern, die (Const. 
Art.70) ordentlicherweise an einem bestimmten Tage auch ohne könieg- 
liche Finberufung sich versammeln. Andere Rechte der belgischen 
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