714 Drittes Buch. Allgemeine Staatsrechtslehre,
gewicht bei der Magıstratur und dem Senate, bis die spätere
Theorie die Lehre von der souveränen Stellung der Komitien aus-
bildet, die aber niemals bis in ihre letzten Konsequenzen durch-
geführt werden konnte, da die Komitien jeglicher Initiative er-
mangelten und sie stets nur auf einen vom Magistrat ausgehenden
Anstoß zu handeln vermochten. Ebenso aber trägt Rom in der
Zeit des Prinzipates den Charakter der Republik mit einer Mehr-
heit unmittelbarer Organe, indem Princeps und Senat in Form
der Dyarchie die Fülle der Staatsgewalt ausüben und die fort-
dauernde theoretische Behauptung der Volkssouveränetät rein
doktrinärer Art, ohne alle praktische Bedeutung ist. Auch die
mittelalterlichen Stadtrepubliken weisen eine Mehrheit unmittel-
barer Organe auf, und in der Gegenwart bieten die freien
deutschen Städte, in denen Senat und Bürgerschaft gemeinsam das
xdorov bilden), das Beispiel einer im Zusammenwirken persönlich
getrennter Organe sich darstellenden höchsten Gewalt. Aber auch
nach dem Typus der konstitutionellen Monarchie kann die Republik
mit einer Mehrheit unmittelbarer Organe gebildet sein. Ver-
wirklicht ist er im Deutschen Reiche, das drei unmittelbare Organe:
Bundesrat, Kaiser und Reichstag, besitzt. Die höchste Gewalt
kommt hier kraft der geschichtlichen Entwicklung des Reiches
den durch den Bundesrat vertretenen verbündeten Regierungen,
unter Bevorrechtung des an ihrer Spitze stehenden Kaisers, zu,
während der Reichstag rechtlich nur die dem Landtage eines
deutschen Gliedstaates in seinen Beziehungen zum Monarchen
gebührende Stellung inne hat. Dieses rechtliche Verhältnis
entspricht aber auch den tatsächlichen politischen Beziehungen
zwischen Regierungen und Reichstag, da dieser weit davon ent-
fernt ist, auf die Leitung der Reichsangelegenheiten den Einfluß
zu üben, den die Volksvertretung in der parlamentarischen Mon-
archie besitzt.
Eine Mehrheit unmittelbarer Organe hat auch die moderne
demokratische Republik, nur ist ihr Verhältnis anders als ın den
angeführten Fällen, weil hier entweder mehrere sekundäre oder
primäre und sekundäre Organe nebeneinander stehen, die alle im
Einheitsstaate ihren Einigungspunkt in dem primären Organ, dem
2) G.B.Brandis, Das Kyrion in der Hamburgischen Verfassungs-
geschichte 1911 S.3ff., 32£f., bezeichnet den Senat als das wahre
oberste Organ des hamburgischen Staates. Dagegen mit guten Gründen
Lüders in Hirths Annalen 1912 S. 17, Vgl. auch unten S. 732 N. 2.,