Full text: Allgemeine Staatslehre

132 Drittes Buch. Allgemeine Staatsrechtslehre. 
der Regierung, und zwar zunächst nach der Art der Bestellung, 
je nachdem das Volk unmittelbar oder durch Vermittlung der 
Volksvertretung die obersten Regierungsorgane wählt!). Typus 
eines Staates mit Volkswahl des Staatshauptes sind die Vereinigten 
Staaten und die Kantone der Schweiz. Der zweite Typus ist. 
zuerst in Frankreich in der Direktorialverfassung verwirklicht 
worden und heute dort sowie in der Eidgenossenschaft ausgeprägt ?). 
Von Bedeutung ist dieser Unterschied mehr nach der politischen 
als der rechtlichen Seite, indem der vom Volk selbst erwählte 
Präsident eine viel größere Autorität gegenüber den Kammern 
besitzt?) als der von ihnen bestellte und daher von ihnen, ob- 
  
!) Eine Abart des ersten Typus ist die plebiszitäre Genehmigung 
eines bereits fungierenden Staatshauptes, wie sie bezüglich der Bona- 
partes mehrmals stattgefunden hat, eine Abart des zweiten die in der 
jakobinischen Verfassung projektierte Wahl eines conseil executif auf 
Grund der Vorschläge der Wähler. 
2) Ganz abweichend von beiden Typen ist die Wahl der Mitglieder 
des Senates in den Hansestädten, welche durch ein verwickeltes, in jeder 
der Städte anders gestaltetes Verfahren, an dem Senat und Bürgerschaft 
teilnehmen, bestellt werden. Die Senate sind primäre Staatsorgane 
(a. A.Seelig Hamburg. Staatsrecht 1902 S. 50, unter Berufung auf meine 
Lehren, jedoch ohne durchschlagenden Nachweis); daß sie das Volk 
repräsentieren, ist nirgends ausgesprochen und widerspräche überdies 
der ganzen geschichtlichen Entwicklung. Bremen (Verf. $ 3) beruft Senat 
und Bürgerschaft zur Ausübung der Staatsgewalt, Hamburg (Art. 6) und 
Lübeck (Art.4) läßt sie beiden Organen gemeinschaftlich zustehen. 
Gemeint ist in allen drei Hansestädten dasselbe. Von dem Typus der 
demokratischen Republik überhaupt entfernen sich die Hansestädte da- 
durch, daß die Stellung des regierenden Organes nur mit dessen Zu- 
stimmung geändert werden kann, da jedes Gesetz vom Senate mit be- 
schlossen werden muß. Die anderen demokratischen Staatshäupter hin- 
gegen unterliegen der Verfassungsgesetzgebung, an der sie keinen Anteil 
haben. Auch Lüders, Hirths Annalen S. 12, bezeichnet die Senate als 
sekundäre Örgane, da nach 'seiner Auffassung die Wählerschaft das 
höchste Staatsorgan ist; denn die \Wählerschaft habe es in der Hand, 
durch Nichtausübung des Wahlrechts Senat und Bürgerschaft allmählich 
zu beseitigen; von ihr also hänge in letzter Linie die Tätigkeit des ganzen 
Staates ab (S.7£.). Die abstrakte Möglichkeit eines derartigen revolu- 
tionären Verhaltens der Wählerschaft ist freilich nicht zu bestreiten. 
Dafür steht aber dem Senat und der Bürgerschaft die Gewalt zu, dufch 
Verfassungsänderung den Senat von der Wählerschaft unabhängig zu 
machen, und diese verfassungsmäßige Beschränkbarkeit der Wähler- 
schaft zeigt, daß sie das höchste Staatsorgan nicht sein kann. 
9) Das hatte Frankreich 1851 erfahren, indem Louis Napoleon, der 
durch das allgemeine Wahlrecht unmittelbar bestellt war, sich als den
	        
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