Full text: Allgemeine Staatslehre

Zwanzigstes Kapitel. Die Staatsformen. 7135 
Legislaturen ein sehr kräftiges Mittel, um sich im Kampfe mit 
der Exekutive trotz aller Theorie als das mächtigere Organ zu 
erweisen. Zudem hat der Präsident nur ausnahmsweise!) das 
Recht, die Kammern in und außer Tätigkeit zu setzen, kann sie 
jedoch nicht auflösen; sodann hat er, wie erwähnt, keine Initiative 
bei der Gesetzgebung und de iure nur ein suspensives, wenn 
auch sehr wirksames Veto?); ihm fehlt ferner das Recht der 
Kriegserklärung; somit ist nicht er das den Staat in Bewegung 
setzende Organ. Vielmehr kann von Rechts wegen durch Ver- 
fassungsänderung seine Stellung beliebig geändert oder abgeschafft 
werden. In Frankreich sind die Kammern schon kraft ihrer un- 
begrenzten verfassungsändernden Gewalt zweifellos das höchste 
Organ des Staates. Dazu kommt noch der Grundsatz der parla- 
mentarischen Regierung, der die Exekutive in stete Abhängigkeit 
von der Kammermajorität bringt. Der Präsident kann die 
Kammern zwar in und außer Tätigkeit setzen, doch haben sie 
ein gesetzlich geregeltes Selbstversammlungsrecht; er kann die 
Deputiertenkammer auflösen, doch nur mit Zustimmung des 
Senates. Er hat kein Recht des Veto, sondern kann nur eine noch- 
malige Abstimmung über ein Gesetz verlangen; ferner fehlt auch 
ihm das Recht der selbständigen Kriegserklärung. Endlich ist er, 
wenn auch nur wegen Hochverrats, verantwortlich. Die rechtliche 
und faktische Leitung des Staates liegt daher in Frankreich beim 
Parlamente und dem vom Parlamente abhängigen, jederzeit von 
Ihm durch ein Mißtrauensvotum der Deputiertenkammer entlaß- 
baren Ministerium). 
  
1) Const. Art. II sect.3 $1. 
?) Selbstverständlich aber nicht bei Verfassungsänderungen. 
3) Auch politisch bedenklich ist es, wenn Rehm, Staatslehre S. 355, 
die parlamentarisch regierte Demokratie als eine tatsächliche Woahl- 
monarchie mit dem Ministerpräsidenten als auf Zeit gewähltem Monarchen 
bezeichnet. In der Kleinen Staatslehre S. 89 gebraucht denn Rehm 
zutreffender den Vergleich mit der Tyrannis, d. h. einer usurpierten, 
politisch-tatsächlichen Herrscherstellung. Welche politischen Ansichten 
man auch über die Stellung eines Monarchen haben mag, so läßt sich 
doch keine durchführen, die in einem Manne, der jederzeit von der 
Legislative davongejagt werden kann, und daher sorgfältig auf die 
Stimmung der Gesetzgeber Rücksicht nehmen muß, einen Alleinherrscher 
erblickt. Das vergißt Combothecra, La conception juridique des 
regimes etatiques 1912 p. 20,31; sonst hätte er nicht die beschränkte 
Monarchie für eine Republik erklärt; als Monarchie will er nur die 
absolute Monarchie gelten lassen. Auch Duguit, Trait& I 1911 p. 393,
	        
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