Full text: Allgemeine Staatslehre

Einundzwanzigstes Kapitel. Die Staatenverbindungen. 145 
völkerrechtlich zukommenden Rechte beanspruchen kann. Diese 
Rechtsstellung als Staat muß sich jederzeit feststellen lassen, 
während politische Unabhängigkeit etwas niemals mit voller 
Sicherheit zu Konstatierendes ist. Es gibt große Staaten, denen sie 
lange Zeit hindurch infolge ihrer Politik gemangelt hat, wie 
denn anderseits selbst rechtliche Unterordnung eines Staates 
seine politische Selbständigkeit keineswegs immer ausgeschlossen 
hat. Kleine Staaten, deren rechtliche Unabhängigkeit außer 
Zweifel steht, können unter Umständen jeglicher politischer Selb- 
ständigkeit nach außen entbehren. 
Die zahlreichen hier in Frage kommenden Abhängigkeits- 
verhältnisse, die zum Teil jeder Einordnung in höhere Kategorien 
spotten, bedürfen stets individualisierender Untersuchung. Für die 
Juristische Erkenntnis dienen die Merkmale des StaateS und der 
Souveränetät als Pfadfinder. Nur wird der politischen Be- 
trachtungsweise insofern auf die Resultate ein Einfluß eingeräumt 
werden, als in jenen Fällen, wo eine abstrakte juristische Möglich- 
keit niemals politische Wirklichkeit zu gewinnen vermag, die. end- 
gültige Entscheidung ım Hinblick auf die realen Verhältnisse wird 
getroffen werden müssen. 
Der Hauptfall der hierher gehörigen Verhältnisse sind die 
zahlreichen Protektorate!l), die. obwohl schon seit Beginn 
der Konsolidierung des modernen Staatensystems vorkommend, 
erst ını der Gegenwart erhöhte politische Bedeutung gewonnen 
haben, weil sie im Zusammenhange der modernen Kolonialpolitik 
die Form abgeben, in welcher Staaten europäischer Gesittung min- 
der zivilisierte ihren Interessen dauernd dienstbar machen. Recht- 
lich ist ein Protektorat ein vertragsmäßiges Verhältnis zwischen 
zwei Staaten, dem gemäß der eine den anderen gegen äußere 
Angriffe zu schützen sich verpflichtet, wogegen dieser dem Pro- 
tektor nicht entgegen zu handeln verpflichtet ist, sich daher von 
diesem die Art seines Verhaltens zu dritten Mächten vorschreiben 
lassen muß. Außerdem pflegt der Schutzstaat dem Beschützer 
als Entgelt für seine Schutztätigkeit noch andere Vorteile zu 
versprechen. 
Die ihrem politischen Kern nach eine Form der Kolonisation 
bildenden Protektorate zivilisierter Staaten über minder zivilisierte 
  
t) Die neuere Literatur über diese Materie angegeben bei Ullmann 
Völkerrecht S..:56 N.6 und v. Liszt 5.106 N.1; ferner Rehm Staats- 
lehre S. 7L ff.
	        
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