Einundzwanzigstes Kapitel. Die Staatenverbindungen. 149
Bildungen auf, deren Entstehung durch den Feudalismus außer-
ordentlich begünstigt wurde. Das römische Reich deutscher
Nation, obwohl als Gebilde sui generis nicht durchaus einer
Kategorie einzuordnen und sowohl staatenbündische als bundes-
staatliche Institutionen aufweisend, hat dennoch seit dem west-
fälischen Frieden viele Züge einer solchen Staatenverbindung
getragen. In neuester Zeit zählt das osmanische Reich ım Ver-
hältnis zu seinen christlichen und mohammedanischen Vasallen-
staaten hierher, ferner England-Indien in Beziehung auf die seine
Oberhoheit anerkennenden Nachbarstaaten.
Das Charakteristische dieser Verbindungsform liegt darin,
daß kein notwendiger Zusammenhang zwischen dem politischen
Leben des Ober- und Unterstaates besteht, in der Regel auch
keine Institutionen vorhanden sind, in denen eine derartige Ge-
meinsamkeit zum Ausdrucke kommen könnte. Der Staatenstaat
gehört daher ganz oder doch überwiegend zum Typus der nicht-
organisierten Verbindungen. Die Unterordnung von Gebiet und
Angehörigen des Unterstaates unter die Gewalt des oberherrlichen
ist in der Regel indirekt, sie sind durch das :Medium der Uhnter-
staatsgewalt dem Öberstaate unterworfen!). Einzelne Abwei-
chungen, die hiervon vorkommen, gehen nicht soweit, um das Bild
des Typus in diesem Punkte wesentlich zu verrücken?).
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1) Somit fehlt auch hier nicht das Volk als Element des Öber-
staates. Wenn Brie, Grünhuts Zeitschrift XI S. 143, mir entgegenhält, daß
ich (Staatenverbindungen S.157) nicht einmal mittelbare Herrschaft
über die Individuen für den Oberstaat begriffsnotwendig halte, so ist
darauf zu erwidern, daß bei den politisch oft sehr abnormen Ver-
hältnissen dieser Verbindungsform es möglich ist, daß die Öberstaats-
gewalt sich auch ındirekt gegenüber den Untertanen nicht zu äußern
vermag. Doch ist solche Rechtslage einfach Folge der faktischen Ver-
hältnisse, deren anomaler Charakter allen juristischen Begriffen spottet. —
Nach Lukas, Staatsrechtlicher und völkerrechtlicher Zwang (Festgabe
für Güterbock 1910 S.189£f.), ist der Staatenstaat, an den Maßstäben
des modernen Staates gemessen, wegen Mangels einer die Untertanen
unwiderstehlich bindenden Staatsgewalt des Oberstaats ein völkerrecht-
liches Gebilde, also kein Staat. Es wird hier wie überall darauf
ankommen, ob die in Widerspruch mit den Gesetzen des Öberstaats
erlassenen Gesetze des Unterstaats gültig sind oder nicht. Sind sie es
nicht, schulden ihnen also die Untertanen keinen Gehorsam, so zeigt
sich gerade darin die wenn auch bloß negativ wirkende Unmittelbarkeit
der oberstaatlichen Herrschermacht und damit ihre staatsrechtliche
Natur. Vgl. auch unten S.763f. N.2.
2\ So haben im alten deutschen Reich theoretisch bis zu seinem