Full text: Allgemeine Staatslehre

Einundzwanzigstes Kapitel. Die Staatenverbindungen. 183 
versehene Komplement der Bundesstaatsgewalt in diesen Gebicten 
von der Zentralgewalt selbst geübt wird. Sie stehen daher nicht 
etwa in einer Art staatsrechtlichen Kondominiums der Gesamt- 
heit der Gliedstaaten, sondern werden von der einheitlichen 
Zentralgewalt beherrscht. 
Da der Bundesstaat souverän ist, so gibt es für die Aus- 
dehnung seiner Zuständigkeit gegenüber den Gliedstaaten keine 
Grenze: sie kann bis zur Vernichtung ihres staatlichen Charakters 
gehen und der Bundesstaat sich demgemäß in einen Einheitsstaat 
verwandeln!)., Man muß hierbei nicht etwa an den politisch 
"kaum möglichen Fall denken, daß die Gliedstaatsgewalten mit 
einem Schlage von der Zentralgewalt enteignet werden?). Wohl 
aber ist es nicht undenkbar, daß allmählich auf dem \Vege der 
Verfassungsänderung die Staatenqualität der Glieder immer mehr 
eingeschränkt wird, so daß sie schließlich vom Rechtsstandpunkte 
aus nicht mehr als Staaten angeschen werden können. Es 
können z. B. Verfassungstypen für die Gliedstaaten aufgestellt, 
alle Verfassungsänderungen der bundesstaatlichen Bestätigung 
  
!) Vgl. G. Jellinek Lehre von den Staatenverbindungen S. 304 £. 
Die Frage ist wissenschaftlich fast nur für das Deutsche Reich erörtert 
worden. Vgl. namentlich Haenel Studien I S.177 und Staatsr. I S. 779, 
793; Laband I S.129. Untersagt ist die Aufhebung der Föderativ- 
republik in Brasilien, Verf. Art. 90 $4; dazu Le Fur p.710 N.2. In 
Amerika gibt es heute bereits Schriftsteller, die den staatlichen Charakter 
der Gliedstaaten der Union bezweifeln, vgl. oben S.486 N.1. 
2) Gegen jenen unpraktischen Fall sind die Ausführungen mancher 
Schriftsteller gerichtet, welche die rechtliche Unzulässigkeit der Ver- 
wandlung des Bundes in einen Einheitsstaat dartun wollen. So wollen 
M.Huber, Die Entwicklungsstufen des Staatsbegriffes, Sep.-Abdr. aus 
der Zeitschrift für schweiz. Recht 1903 S.16f., und Seidler, Jhur. 
Kriteriun S.81, aus dem Rechtsbewußtsein heraus die rechtliche Un- 
aufhebbarkeit des Bundesstaates beweisen. Wie aber, wenn sich die 
psychische Grundlage eines solchen Staates ändert? Müßte ein zum 
Einheitsstaate neigendes Volk für alle Zeiten rechtlich die föderalistische 
Gestaltung seiner staatlichen Verhältnisse weiter dauern lassen? Man 
kann doch die Geschichte nicht durch eine Art von bundesstaatlichem 
Legitimismus meistern wollen. Auch Zorn, Staatsr. I S.136f., der 
die Existenz der Einzelstaaten als tatsächliche Grundlage des Reiches 
für unantastbar erklärt und Rehm, der (Staatslehre S. 179) aus dem 
„Bundes“charakter des Reiches die Notwendigkeit der Zustimmung der 
Bundesregierungen zu dessen Wandel in einen Einheitsstaat ableitet, 
vermögen kein Schutzmittel gegen eine allmähliche historische Um- 
änderung anzugeben, die sich zweifellos in den Formen des Rechtes 
vollziehen kann.
	        
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