Zweiundzwanzigstes Kapitel. Die Garantien des öffentlichen Rechtes. 791
Politische Garantien teilen mit den sozialen die Eigenschaft,
sich nicht mit völliger Sicherheit berechnen zu lassen. Sie können,
wie diese, das Gegenteil der beabsichtigten Wirkung haben. In
der Schöpfung von Volksvertretungen hat man auf dem Kontinente
anfänglich die sicherste Gewähr für die Verwirklichung der
Rechtsordnung erblickt. Die Geschichte hat aber gelehrt, daß
parlamentarische Willkür und Korruption nicht minder rechts-
zerstörend wirken kann wie fürstliche und bureaukratische All-
macht. Namentlich die so bedrohliche Erscheinung der Ob-
struktion läßt die Frage entstehen, wie man die Staatsordnung
vor rechtswidrigem Handeln einer parlamentarischen Minderheit
schützt. An die Zukunft tritt das schwierige Problem heran,
eine Verantwortlichkeit der Kammermitglieder für verfassungs-
widrige Handlungen ohne Gefährdung ihrer Unabhängigkeit zu
schaffen).
I. Rechtliche Garantien unterscheiden sich von den
sozialen und politischen dadurch, daß ihre Wirkung sich mit
Sicherheit berechnen läßt. Ungewiß kann es sein, ob sie im
einzelnen Falle anerkannt sind; ungewiß, ob sie in ihrer kon-
kreten Ausgestaltung genügen; ungewiß, ob sie unter allen Um-
ständen gehandhabt wcrden:: solche menschliche Schwächen haften
allem menschlichen Tun an. Allein ihrem Wesen entspricht
es, der Sicherung des Rechtes zu dienen. Sie haben bei der
Verkettung aller gesellschaftlichen Erscheinungen auch soziale
und politische Nebenwirkungen.
Die rechtlichen Garantien teilen sich in zwei große Kate-
gorien: sie bezwecken entweder Gewähr des objektiven Rechtes
oder des individuellen Rechtskreises, in der allerdings stets auch
ein Moment der Gewähr des ersteren vorhanden ist, so daß, noch
genauer gesprochen, es sich entweder um überwiegende Gewähr
des objektiven oder des subjektiven Rechtes handelt.
der Verfassung der zweiten Republik vom 4. November 1848 (Art. 48)
gefordert. Ebenso haben heute — im Gegensatz zu den Landtags-
mitgliedern — die Mitglieder des deutschen Reichstages und auch die
Mitglieder-der französischen Kammern seit der dritten Republik keinerlei
Eid oder Gelöbnis abzulegen.
1) Hierüber auf. Grund der bereits geltenden Rechtsordnung
G.Schwarz, Die Rechtslehre der Obstruktion, Grünhuts Z. XXXII
1906 S. 33ff.; vgl. auch Spiegel Die Verwaltungsrechtswissenschaft 1909
S.206 N.85; G.Jellinek Ausgewählte Schriften und Reden II 1911
S.419 if. Vgl. auch oben S. 3683.