Full text: Allgemeine Staatslehre

58 Erstes Buch. Einleitende Untersuchungen. 
Erkenntnis eines selbständigen ius publicum römischen Ursprungs, 
so mangelten dennoch in der juristischen Literatur der Römer 
alle näheren Untersuchungen über den status reipublicae, auf 
den sich jenes Recht bezog. Die Hellenen hingegen waren nie 
dahin gekommen, das Recht in seiner Eigenart zu erfassen, daher 
der Gedanke einer Betrachtung des Staates unter ausschließlich 
rechtlichen Gesichtspunkten ihnen nicht geläufig ist. Diese Ver- 
bindung der Staatslehre mit Jurisprudenz ist für die moderne 
Entwicklung der theoretischen Staatswissenschaft von der höchsten 
Bedeutung geworden. 
Die neuere, durch Renaissance und Reformation eingeleitete 
Zeit beginnt ebenfalls mit politischen Erörterungen. Die Auf- 
lösung der mittelalterlichen Welt hatte die alten Autoritäten ge- 
stürzt oder doch erschüttert. An Stelle der mittelalterlichen Ein- 
heit des Reiches war eine Vielheit ihrer Selbständigkeit sich be- 
wußter Staaten getreten. Damit war der Trieb gegeben, sich über 
die neuen Bildungen, ihren Wert und die Bedingungen ihrer Er- 
haltung klar zu werden. Diesem Zwecke dienen aber wiederum 
eingehende Erörterungen theoretischer Natur. So enthalten denn 
die an der Spitze der modernen politischen Literatur stehenden 
Werke Machiavellis und namentlich die Jean Bodins eine 
Reihe bedeutsamster Untersuchungen über Wesen, Eigenschaften 
und Arterı der Staaten. Von neuem ist hier wie bei Aristoteles, 
aber nicht mehr ihm sklavisch folgend, der Blick zurückgewendet 
auf die gegebene Welt, um aus ihr die Typen zu gewinnen, für 
welche die Vorschriften der Staatskunst berechnet sind. 
Die neuerstandene Welt sucht aber auch nach einer neuen 
festen Basis der von Grund aus veränderten Verhältnisse; diese 
bietet ihr das durch antike und mittelalterliche Anschauungen 
vermittelte Naturrecht, dessen Eigenart nicht zum geringsten darin 
besteht, daß es, von theologischer Basis losgelöst, nicht kraft 
göttlichen Gebotes, sondern kraft innerer Notwendigkeit seine 
Selbständigkeit behauptet. Dieses Naturrecht ist in seinem An- 
fange hauptsächlich dem öffentlichen Rechte zugewendet. Der 
Staat, seine Entstehung, sein Wesen, seine Funktionen werden 
aus ihm abgeleitet. Damit tritt eine allgemeine Lehre vom Staate 
auf, die sich schon in ihren Anfängen als eine rechtliche Theorie 
gibt und sich in bewußten Gegensatz zu der politischen Behand- 
lungsweise des Staates stellt. Die Selbständigkeit dieses Rechtes
	        
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