64 Erstes Buch. Einleitende Untersuchungen.
der politischen Ideen und Forderungen in ihren Resultaten nur
dem Gewordenen und Seienden, nicht dem Seinsollenden zu-
scwendet ist, ist die notwendige Konsequenz der Lehren der
neueren mit W. E. Albrecht!) und C. F. v. Gerber?) be-
ginnenden deutschen Publizistenschule, deren Aufgabe es ist, das
Staatsrecht ausschließlich in seinem rechtlichen Gehalte zu er-
forschen und darzustellen. Diese Schule hat viele Grundbegriffe
in der Form übernommen, wie sie von der naturrechtlichen Lehre
und der politischen Literatur gezeitigt worden waren. Sie nahm
deren Resultate für juristische Ergebnisse, während sie doch in
sehr vielen Stücken nichts als der Niederschlag bestimmter poli-
tischer Theorien sind. So hat denn auch unsere neuere Staats-
rechtswissenschaft, ihr selbst in der Regel unbewußt, Politik ge-
trieben, indem sie aus angeblichen Rechtssätzen Konsequenzen
zog, die sie für juristische hielt, die in Wahrheit aber nur politischer
Natur sınd. Daher fordert der Ausbau einer möglichst objektiven
publizistischen Wissenschaft heute eine Sichtung der Grundbegriffe,
auf die sie anfangs verzichten zu können glaubte.
Überblickt man die zahlreichen Versuche der Bearbeitung
der Staatslehre, dıe in neuester Zeit unternommen worden sind,
so ergibt sich folgendes:
Umfassende Darstellungen und eingehende Einzelunter-
suchungen sind bei Schriftstellern zu finden, die sich ex professo
mit der Staatswissenschaft und Rechtslehre befassen. In ihnen
spiegeli sich der Gegensatz der Methoden wider, die in diesen
Disziplinen herrschen. Je nach der überwiegenden Bildung des
Autors tritt die spekulativ-philosophische, die historisch-politische,
die juristische Behandlungsweise des Stoffes als die leitende her-
vor. Systematische Bearbeitungen des Gesamtstoffes gehen heute
in der Regel von Juristen oder doch juristisch gebildeten For-
schern aus). Die allgemeine Staatsrechtslehre als Lehre von
I) Rezension von Maurenbrechers Grundsätzen des heutigen deut-
schen Staatsrechts. Göttinger gelehrte Anzeigen 1837 III S. 1489—1504,
1508—1515.
?) Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrechts 1. Aufi.
1865, 3. Aufl. 1880. Das Programm der neuen Richtung in der Vorrede
zur ersten Auflage.
3) Außer den bereits angeführten Werken von Held, Bluntschli,
Gerber, H. Schulze, v. Seydel, Laband, G. Meyer, Gareis, Bornhak, An-
schütz, Rehm, Richard Schmidt sind von umfassenderen Arbeiten deut-
scher Juristen der letzten fünfzig Jahre namentlich an dieser Stelle