Full text: Aberglaube, Sitte und Brauch im sächsischen Erzgebirge.

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Bei der weiteren Entwicklung des Kindes innerhalb der ersten 
Monate bis zur Vollendung des ersten Lebensjahres sind noch allerhand 
Maßregeln geboten, die das Kind fördern oder vor Schaden bewahren sollen. 
Bei jedem Gehversuche stößt man das Kind um, damit es nicht 
„ins Unglück laufe" (A., He. 3167). Lernte das über ein Jahr alte 
Kind das Laufen nicht, so steckte man es an einem Sonntage, wenn die 
Kirche ausging, in die Wasserkanne, fuhr diese dreimal um den Tisch 
herum und sagte dabei: „Kindlein, willst du laufen lern', so mach’ ge- 
schwind hinaus in die Fern'!“ (Gr.). Oder man stellt das Kind in 
einen Eimer und trägt ihn dahin, wo ein Leichenzug vorüberzieht (El.). 
Fällt ein Kind leicht, so kauft ihm die Mutter „#e Tippel“, das es mit 
auf die Straße bekommt. Zerbricht das Töpfchen beim nächsten Fall, 
so ist die Gefahr zu fallen fortab beseitigt (A.). Solange das Eie, 
womit des Kindes Mund bei einem Besuche bestrichen wurde, auf dem 
Hausbalken liegen bleibt, solange schadet dem Kinde nie ein Fall 
(El. 599). Unter einem Jahr darf das Kind weder gewogen, gemessen 
noch abgebildet werden, wenn es nicht bald wieder sterben soll (Ob., 
El. 603"). Bekommt das beim Essen sehnsüchtig zuschauende Kind nichts, 
so vergeht ihm der Wuchs (Mau.), fließt ihm ein Tröpfchen vom Herzblut, 
(Gd. 607°). Das immer hungrig tuende Kind soll man während des ganzen 
Läutens zum Sonntagsgottesdienst in den Brotschrank legen (Ne.). 
Wachsen einem Kinde die Fingernägel schnell, so stirbt es zeitig 
(v.). Die zuerst gewachsenen schneidet die Mutter nicht, sondern beißt 
sie ab, damit kein Selbstmörder aus ihm werde (v. 600“.). Mit den 
an einem Karfreitage oder vor Vollendung eines Jahres abgeschnittenen 
Haaren oder Nägeln geht das Glück verloren (W., St., W., H., Th. 600.), 
der Verstand (Ob.). Die Haare der Mädchen sollen nur bei Vollmond 
geschnitten werden, sonst wachsen sie nicht gut (Schön. 464°). Das 
noch nicht ein Jahr alte Kind darf nicht durch ein Fenster gehoben 
werden, sonst wird es ein Dieb (A., H., Th. 597) oder es wächst nichl 
mehr (A. Wo. 597) oder wird krank und gebrechlich (Gey.). Ein Dieb 
wird es auch, wenn ein Gegenstand über den Kinderkorb hinweggeworfen 
(A.), das Kind über einen Zaun gehoben (Th.), auf die Finger geschlagen 
wird (O., Po., Ri.). Das mit dem Besen geschlagene Kind wird dürr 
(Or., Un., M.) oder wächst nicht mehr (St., Ehr., Bä. 603). Mit auf 
den Abort genommen, bekommt es böse Augen (H., Sd.), einen übel- 
riechenden Atem (St., A. 604). Die Mitnahme in den Keller macht 
furchtsam (5887), bewirkt, daß das Kleine schwer sprechen (Zw.) oder 
stehlen lernt (H.). Ein Gang mit dem Kinde auf den Oberboden 
macht es zu einem Brandstifter (Ehr.), auf den Friedhof, läßt es zeitig 
sterben (H. Kl. 601). Regen gibt Sommersprossen (H. O. 600). Steigt 
man über ein Kind ohne zurückzusteigen, so wächst es nicht mehr (allg. 
603) oder es wird unruhig, krank oder gebrechlich (Gey.). Das gilt 
bis zum vierten Jahre (Or., Gey.). Das Wachstum wird auch ver- 
hindert, wenn das Kind durch jemandes Beine kriecht (v. 604), über 
das ungetaufte Kind etwas gereicht wird (Gd.). Bleibt die Kinderwäsche, 
die vor dem neunten Tage überhaupt nicht ins Freie gebracht werden
	        
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