Titel III. Innere Einrichtung der Volksschulen. § 23. 113
1. Die Befugnis, für Schulen, welche Schüler verschiedener Bekenntnisse zu
unterrichten haben, aber nicht mit Lehrern aus jedem der betreffenden Bekenntnisse
besetzt sind, durch einen benachbarten Lehrer eine Unterstützung in Erteilung des
Neligionsunterrichts an die eines eigenen Lehrers entbehrenden Kinder eintreten zu
lassen, war der Oberschulbehörde bereits durch Artikel IV des Gesetzes vom 18. Sept-
tember 1876 (§ 27a) eingeräumt. Eine Vorschrift darüber, wie groß die Zahl der
Schüler, welche eines bekenntnisangehörigen Lehrers entbehren, sein müsse, damit von
der erwähnten Befugnis Gebrauch gemacht werden könne, wurde damals nicht für
angezeigt erachtet. Die Oberschulbehörde ihrerseits hat dann, in Anlehnung an die
Vorschrift in § 24 a (jetzt § 19, Schlußsatz) des Gesetzes, von der ihr eingeräumten
Befugnis stets nur. dann Gebrauch gemacht, wenn die Zahl der betreffenden Schüler
dauernd, d. h. in den drei letzten Schuljahren (das laufende nicht eingerechnet),
mindestens 20 betragen hatte und auch in dem darauf folgenden (laufenden) Schul-
jahr nicht unter diese Zahl herabgegangen war. Das Gesetz vom 13. Mai 1892 hat
im Anschluß an die in der Praxis hervorgetretenen Bedürfnisse und an eine ähnliche
Bestimmung, welche in dem (wieder zurückgezogenen) preußischen Entwurf eines
Volksschulgesetzes enthalten war (5 14 Absatz 4), die Erlassung einer bezüglichen
Anordnung schon bei dauernd fünfzehn Schülern des betreffenden Bekenntuisses
vorgesehen.
Der Absatz 2 enthält lediglich eine Anwendung der Vorschrift in § 14 Absatz 1
d. G. auf die einem einzelnen Bekenntnis angehörigen Schüler. Es war, namentlich
vonseiten der evangelischen Oberkirchenbehörde, stets als ein Mißstand beklagt
worden, daß an Schulen mit mehr als einem Lehrer, an welchen die Zahl der
Schüler des einen Bekenntnisses die einem andern Bekenntnis angehörigen bedeutend
überwiegt (z. B. an einer Schule mit 200 Kindern, von denen 160 dem evangelischen
und 40 dem katholischen Bekenntnis angehören — oder umgekehrt —), die Zahl der
in einer Religiousstunde zu vereinigenden Schüler eine so große sei, daß ein er-
folgreicher Unterricht nicht erteilt werden könne. Das Vorhandensein dieses Miß-
standes mußte anerkannt werden; in einer Reihe von Orten kamen Religionsklassen
mit 90 und mehr Schülern vor. Wo die Gemeindebehörden freiwillig eine für die
Erteilung weiterer Religionsstunden dem Lehrer zu leistende Vergütung übernommen
haben, konnte dem beregten Mißstand schon früher abgeholfen werden. Um aber die
Maßregel allgemein zur Durchführung bringen zu können, bedurfte es einer bezüg-
lichen gesetzlichen Feststellung, zumal da nur für diesen Fall Gemeinden, welche
nach Lage ihrer ökonomischen Verhältuisse Anspruch auf einen Staatsbeitrag
erheben könnten, die Möglichkeit geboten wurde, den für Aushülfeleistung in
Erteilung des Religionsunterrichts aufgewendeten Betrag auf die Staatskasse zu
überwälzen.
Mit den in § 23 enthaltenen Bestimmungen steht in Zusammenhang, daß aus
dem zweiten Absatz des (im übrigen unverändert gebliebenen) § 27 — jetzt § 22 —
die Anführung „(§ 42 Absatz 1 und 2)“ entfernt wurde. Das fragliche Citat sollte
ausdrücken, daß die vier Wochenstunden, zu welchen ein Lehrer (gegen besondere
Vergütung) über sein regelmäßiges Deputat hinaus angehalten werden kann, weder ganz
noch teilweise für Neligionsunterricht in Anspruch genommen werden dürfen. Um
aber Anordnungen, wie solche in § 23 vorgesehen sind, durchführen zu können, muß
die Oberschulbehörde befugt sein, einem Lehrer sogenannte Uberstunden auch für
. Unterricht in Religion — seien diese am Anstellungsorte oder an der Schule eines
Nachbarortes zu erteilen — aufzuerlegen. Ständ. Verhdlgen., 1891/92, II. Kammer,
Beilagenheft IV, S. 102/103.
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