Dritter Abschnitt. 1862—1868. 33
Die Oberschulbehörde ist berechtigt, auch andere sachkundige Männer mit der
Prüfung von Volksschulen aushilfsweise zu beauftragen.
§ 8. Jede Kirche kann für die Ueberwachung des Religionsunterrichts ihrer
Angehörigen in der Volksschule ihre eigenen Aufsichtsbeamten ernennen und durch
dieselben Prüfungen des Religionsunterrichts vornehmen und sich Bericht erstatten
lassen. Die Anberaumung dieser Prüfungen und die an die Schullehrer gerichtete
Verbescheidung derselben, sowie überhaupt die Verfügungen der Kirchen in Betreff
des Religionsunterrichts an den Volksschulen geschehen durch Vermittlung der oberen
Schulbehörden, welche dieselben, sofern sie nichts mit den allgemeinen Schulordnungen
Unvereinbares enthalten, zur Nachachtung eröffnen.
Ueber den Anteil an der örtlichen Schulaufsicht, welchen die neue Ge-
setzgebung den Ortsgeistlichen zuwies, war in der Begründung zur
Gesetzesvorlage gesagt:
„Sie (die Staatsregierung) muß sich darauf beschränken, die Vertreter der
„Kirche als berechtigt zum Eintritt zu erklären, weil sie die Geistlichen als solche zur
„Teilnahme an dem Ortsschulrat nicht zwingen kann, und es Sache der oberen
„Kirchenbehörden sein wird, diese im Interesse der Schule sehr wünschenswerte Ver-
„pflichtung auszusprechen.“
Daß der Ortspfarrer nicht mehr wie früher der geborene Vor-
sitzende des Ortsschulrats sein könne, werde als eine selbstverständliche Folge
des Gesetzes vom 9. Oktober 1860 aufgefaßt, dabei aber ausdrücklich er-
klärt, es sei nicht gegen die eigenen Wünsche und Erwägungen der Staats-
regierung, daß auch in dem neuen Zustand der Gesetzgebung der Orts-
pfarrer in der Regel der Vorsitzende des Ortsschulrats werde. Hieraus
ergiebt sich, daß die Staatsregierung bei der Neugestaltung der örtlichen
Schulaufsicht auf die fernere einverständliche Mitwirkung der Kirchen ge-
rechnet und dem Ortsgeistlichen eine Stellung im Ortsschulrat zugedacht
hatte, welchethatsächlich von der Stellung, die der Geistliche früher als
Ortsschulinspektor und Vorsitzender des Schulvorstandes einnahm, kaum ver-
schieden war.
Diese Erwartungen haben sich aber anfänglich nur in Beziehung auf
den evangelisch-protestantischen Konfessionsteil verwirklicht. Die
Bildung der Ortsschulräte für die evangelischen Volksschulen nach der Vor-
schrift des Gesetzes nahm ihren ordnungsmäßigen Verlauf. Die Geistlichen
machten von dem Rechte des Eintritts in den Ortsschulrat auf ausdrücklich
erklärten Wunsch der ebangelischen Oberkirchenbehörde ) ohne Ausnahme
Gebrauch, und von der Oberschulbehörde wurde nach dem Grundsatz ver-
1) Erlaß des Evangelischen Oberkirchenrats vom 1. Oktober 1864 Nr. 9165 an
die evangelischen Geistlichen des Landes:
„Obwohl wir im Interesse der Kirche nicht mit allen Bestimmungen dieses Ge-
setzes (vom 29. Juli 1864) uns einverstanden finden, so kann uns dies nicht ab-
halten, auch ferner an der großen Aufgabe, welche die Kirche auf dem Gebiete der