Vierter Abschnitt. 1868—1900. 39
Es ist eine bekannte Thatsache, daß der Aufwand für die Volksschulen unseres
Landes nur zum weitaus geringeren Teil mit deren eigenen, konfessionellen Mitteln,
zum weit größeren Teil aber durch Beiträge der politischen Gemeinden und des
Staates, also mit nicht konfessionellen Mitteln bestritten wird. Unzweifelhaft wäre
die Staatsgewalt befugt, auf dem Wege der Gesetzgebung die politischen Gemeinden
und die Staatskasse von der betreffenden Verbindlichkeit zu befreien und denselben
dagegen eine ähnliche zugunsten nicht konfessioneller Schulen aufzuerlegen; aber die
rechtliche Möglichkeit eines solchen Verfahrens begründet noch nicht seine materiello
Richtigkeit und Zweckmäßigkeit, über welche vielmehr nach anderweitigen Erwägungen
zu entscheiden ist. — —
Die Art der Schulen zu bestimmen, zu deren Gunsten die Gemeinde und die
Staatskasse durch Staatsgesetz belastet werden sollen, ist Sache der freien Erwägung;
es hat jederzeit für diejenige Art von Schulen zu geschehen, welche unter Berück-
sichtigung aller maßgebenden Verhältnisse als die zweckmäßigste erscheint. Indem die
Großh. Regierung bei dieser Wahl für die konfessionellen Schulen als Regel sich
entschied, wurde sie namentlich durch zwei Gründe bestimmt.
Die (konfessionellen) Schulen haben die Tradition von mehreren Jahrhunderten
für sich; sie entsprechen nach den bisher gemachten Erfahrungen den Neigungen der
Mehrheit der Bevölkerung; sie sind mit deren Anschauungen und Gewohnheiten so
tief verwachsen, daß ihre plötzliche Beseitigung durch einen Akt der gesetzgebenden
Gewalt als eine tief eingreifende und nicht selten schmerzende Aenderung der sozialen
Verhältnisse, namentlich unter der Landbevölkerung, empfunden werden würde. Bedeut-
samer noch ist die Rücksicht auf den idealen Gehalt und die innere Einheit der Volks-
bildung, für welche die Verbindung des Religions= mit dem übrigen Schulunterricht
von der allergrößten Wichtigkeit ist. Es ist eine die ernsteste Würdigung verdienende
Thatsache, daß ein beträchtlicher Teil der wertvollsten geistigen und moralischen Er-
rungenschaften unseres Volkes mit seiner religiösen Bildung auf das innigste ver-
wachsen ist; die gerade für die Volksschule so wichtige erzieherische Wirksamkeit neben
dem Unterrichten wird sehr wesentlich durch Anknüpfen an den religiösen Lehrstoff
erleichtert; die wünschenswerte Verbindung des Religions= mit dem übrigen Schul-
unterricht vollzieht sich aber weitans am natürlichsten und leichtesten in konfessionellen
Schulen, und es ist mindestens zweifelhaft, ob sie außerhalb derselben in den auf
hypothetischen Zwang beruhenden Volksschulen überhaupt unter einer andern Be-
dingung durchführbar ist als der, daß die verschiedenen Konfessionen freiwillig
ihre Schulen vereinigen.
Ohne Rücksicht auf eine gewisse freie Mitwirkung der Konfessionen und der
Kirchen läßt sich nur das System durchführen, bei welchem der weltliche von dem
Religionsunterricht vollständig getrennt, und jener der Schule, dieser der Kirche zu-
gewiesen wird. Dieses System bietet für die staatliche Leitung der Schule den Vorteil,
daß bei demselben alle Konflikte zwischen Staat und Kirche auf dem Gebiet der
Schule prinzipmäßig ausgeschlossen sind, und es empfiehlt sich dem Betrachter durch
seine logische Einfachheit. Es leidet aber an der Schwäche aller derjenigen Gesetze,
welche nur einen einzigen Gedanken logisch festzuhalten wissen, indem es die reiche
Mannigfaltigkeit des realen Lebens ignoriert und unbefriedigt läßt, und es kann an-
stelle der formellen Konflikte zwischen Staat und Kirche, welche es zu vermeiden
sucht, leicht einen weit schlimmeren Zwiespalt in der Volksbildung, tief greifende
ungelöste Widersprüche in der inneren Entwicklung der Massen und eine Teilung
derselben in feindliche Lager hervorrufen. Die Großherzogliche Regierung glaubte
deshalb zur Zeit von diesem System absehen zu sollen; der weitere Gang unserer