104 2. Tl. Kriegserklärung u. Friedensschluß n. deutsch. Völkerrecht.
ist sowohl für das deutsche Völkerrecht wie auch für das deut-
sche Staatsrecht von Bedeutung. 1)
Eine frühere Ansicht identifizierte Angriffs= und Ver-
teidigungskrieg mit gerechtem und ungerechtem Krieg. An-
greifer sei nicht derjenige Teil, der den Krieg erklärt oder die
erste kriegerische Handlung vornimmt, sondern derzjenige, der
den Krieg veranlaßt bezw. für den anderen Staat notwendig oder
unvermeidlich gemacht hat. Sonach sei in juristischer Beziehung
der Defensivkrieg identisch mit einem gerechten Kriege, der
Offensivkrieg gleichbedeutend mit einem rechtswidrigen, d. h.
rechtlich nicht motivierten Kriege. Es könne also auch der zu-
erst Angreifende einen Verteidigungskrieg führen, da die Prä-
vention (das praevenire) zum Verteidigungsrecht gehöre. An
Hand dieser Theorie würde die Entscheidung, ob Angriffs= oder
Verteidigungskrieg völlig unsicher, ja unmöglich sein.
Die neuere Meinung aber geht von der Erwägung aus,
daß jeder Krieg an sich ein völkerrechtlicher Zustand ist, den
jeder souveräne Staat Kraft seines Kriegführungsrechtes her-
beizuführen berechtigt ist. ) Maßgebend für die Unterscheidung
von Angriffs= und Verteidigungskrieg kann dementsprechend nicht
die Frage der Gerechtigkeit des Krieges sein, sondern die äußere
Gewaltanwendung, die militärischen Vorgänge müssen von ent-
scheidendet Bedentung sein. Als Angreifer werden wir mithin
denjenigen Staat ansehen, der die erste Gewalttat ausführt,
mag er den nichtsahnenden Gegner überrumpeln oder dessen
Ueberfall durch einen schnellen Angriff zuvorkommen. Durch
die neuen Bestimmungen der II. Haager Konferenz über die
Kriegserklärung ist die Tatsache, die den Kriegszustand eröff-
net, noch deutlicher und bestimmter zum Ausdruck gebracht wor-
den. Es tritt nach außen klar hervor, wer Angreifer ist: Falls
eine Kriegserklärung erfolgt, ist sie, als äußere erkennbare
Tatsache, als das entscheidende Moment anzusehen, sodaß der-
jenige, der den Krieg erklärt hat, als Angreifer zu gelten
hat. Wo aber jede Erklärung unterblieben ist, und der Kriegs-
zustand durch die Feindseligkeiten eröffnet wird, wird derjenige
als Angreifer zu betrachten sein, der die erste Gewalttat
ausführt.
1) Bagl. Art. 11 Abs. 2 d. N. V. und oben S. 24 f. Edenso v. Liszt, 5 89 Ul-
2) BgI. Ullmane, Völkerrecht 5 166 S. 466.