28 1. Tl. Kriegserklärung u. Friedensschluß n. deutsch. Staalsrecht.
die Bestimmung der R. V., da letztere bekanntlich in den Kolo-
nien nicht gilt. Wer aber ist nun bei einem Angriff auf die
Kolonien zur Cntscheidung nach Anordunng der erforderlichen
Gegenmaßregeln berufen: der Kaiser, der Bundesrat oder beide
Organe zusammen? Beim Fehlen einer Rechtsnorm hierüber
werden wir prüfen, ob sich eine analoge Anwendung der Ver-
fassungsbestimmung rechtfertigen läßt. Diese sagt: Im Falle
eines Angriffs auf das Bundesgebiet bedarf es nicht der Zu-
stimmung des Bundesrates. Mit Recht ist hier das zaiserliche
Recht unbeschränkt. Bei einem Angriff auf deutsches Bundes-
gebiet, durch den die Existenz des Reiches selbst sofort bedroht
und in Frage gestellt ist, bedarf es keiner weiteren Ueberlegung,
es gilt einzig und allein den Angriff abzuwehren. Ein Nach-
geben ohne Kampf wäre in der Politik des Reiches undenk-
bar. Dagegen werden bei einem Angriff auf ein deutsches Schutz-
gebiet zwar wichtige Interessen des Reiches gefährdet, aber
es bestehr hierbei doch keine direkte Gefahr für das deutsche
Reichsgebiet. 1) Deshalb kann hier jedesmal von Kaiser und
Bundesrat gemeinschaftlich geprüft werden, welche Gegenmaß-
regeln etwa erforderlich sind. Auch aus diesem prakttisch-poli-
tischen Gesichtspunkte heraus werden wir bei einem Angriff
auf ein Schutzgebiet Kaiser und Bundesrat gemeinsam über
Krieg und Frieden entscheiden lassen.2)
Man könnte jedoch noch einen rechtlichen Gesichtspunkt für
das unbeschränkte Kriegsrecht des Kaisers im Falle eines An-
griffes auf ein Schutzgebiet anführen, nämlich den, daß dem
Kaiser die Schutzgewalt in den Kolonien übertragen ist (Vergl.
Schutzgebietsgesetz 8 1 vom 25. Juli 1900) (R. G. Bl. 1900
S. 813): „Die Schutzgewalt in den deutschen Schutzgebieten übt
der Kaiser im Namen des Reiches aus“, sowie er in Elsaß-=
Lothringen gemäß 8 3 des Gesetzes vom 9. Juni 1871 und
gemäss Art. II 8 1 des Gesetzes vom 31. Mai 1911 die Staats-
gewalt ausübt. Da aber Schutzgewalt identisch ist mit Staats-
1) So auch v. Stengel, Rechtsverhällnisse 1901 S. 82.
2) Ebenso G. Meyer. 85 190 S. 632 Anm. 7; v. Seydel, Komm.
S. 161, Behling. S. 75; anderer Ansicht, jedoch ohne Begründung Arndt,
Staatsrecht S. 701. Unrichtig Sabersky, S. 28, der in diesem Falle sogar
noch eine Kriegserklärung für nokwendig hält, obschon eine solche von Seiten des
Angegriffenen nicht gefordert wird.