1. Kapitel: Kriegserklärung nach deutschem Staatsrecht. 33
dann zum Angriff übergehen — in der Regel ein Angriff
auf das Bundesgebiet so sehr in den Bereich der nächsten Mög-
lichleit gerückt sein, daß die Bestimmung über die Mitwirkung
des Bundesrates nicht Platz greifen kann.. . . Von diesem
Standpunkt aus wird bei europäischen Verwicklungen nicht leicht
der Fall gegeben sein, daß die selbständige Machtvollkommenheit
des Kaisers zur Kriegserklärung ausgeschlossen wäre.“
II. Wie äußert sich nun diese Mitwirkung des Bundesrates
und welche rechtliche Bedeutung ist ihr beizulegen?
Zunächst muß festgestellt werden, daß die Verfassung nur
von einer Zustimmung des Bundesrates, nicht aber von einer
selbständigen Beschlußfassung spricht. Damit wird m. E. klar zum
Ausdruck gebracht, daß zwei Organe: Kaiser und Bundesrat
über Krieg oder Frieden zu entscheiden haben, so daß weder
der Kaiser den Bundesrat in den oben behandelten Fällen
ausschalten, noch der Bundesrat durch einen Beschluß den Kaiser
zur Kriegserklärung gegen seinen Willen zwingen Bann. 1)
Beabsichtigt also der Kaiser als Vertreter des Reiches und
Leiter der auswärtigen Angelegenheiten einen Angriffskrieg ge-
gen einen fremden Staat zu führen, so wird er dem Bundesrat
von dieser Absicht Mitteilung machen und ihn auffordern, seine
Zustimmung zu der beabsichtigten Kriegführung — zur,, Krieg-
führung“ müßte es auch in der Verfassung Art. 11 Abs. 2
statt „zur Kriegserklärung“ heißen — zu erteilen. Erfolgt
diese, so wird der Kaiser die Kriegserklärung auf dem üblichen
diplomatischen Wege der Regierung des betreffenden Staates
Übermitteln. Aber selbst in dem Fall, wo der Bundesrat seine
Zustimmung bereits erteilt hat, kann der Kaiser doch noch
die Kriegserklärung auf Grund seines Mitwirkungsrechtes bei
der Entscheidung über Krieg und Frieden verweigern. Aus der
alleinigen Vertretungsbefugnis des Kaisers für das Reich folgt
dieses Verweigerungsrecht des Kaisers noch nicht. Denn wäre
er nur völkerrechtlicher Vertreter, so wäre er rechtlich ver-
pflichtet, den Beschluß des Bundesrates auszuführen, d. h. die
Kriegserklärung an den Gegner zu übermitteln.
Versagt nun aber der Bundesrat die erforderliche Zustimm-
ung, d. h. praktisch gesprochen: wird Preußen im Bundesrat
1) Lgl. v Seydel, Kommentar S. 167; Arndt, Staatsrecht S. 704.
Jovy, Kriegserllärung und Frledensschluß. 8