76 2. Tl. Kriegserklärung u. Friedensschluß n. deutsch. Völkerrecht.
3 Auch für die neutralen Mächte schafft der Beginn des
Krieges einen neuen Rechts= und Verpflichtungskreis gegenüber
den kRriegführenden Staaten. Gerade darin liegt die weittragende
Bedeutung des Kriegcs, daß er nicht nur die Parteien selbst
in ihren höchsten Interessen erschüttert, sondern darüber hin-
aus sämtlichen anderen Staaten Beschränkungen auferlegt, die
von diesen namentlich in Bezug auf ihren Handel als sehr
schädlich und lästig empfunden werden — man denke nur an
das Kriegskonterbande= und Blockaderecht. Wegen dieser Fol-
gen ist es auch für die Neutralen vom größten Werte, genau
und möglichst rasch und zuverlässig den zeitpunkt des Kriegs-
beginns zu erfahren. Aber wie wird man diesen ohne Kriegs-
erklärung bestimmen können? Soll etwa der erste Feindselig-
keitsakt, wie die englische Richtung es will, den Kriegszustand
erösfnen? Welcher Akt ist als der erste anzusehen? Etwa,
wie Hall annimmt: „Derjenige, der die klare und volle Kund-
gebung der Absicht enthält?“ Wer wird dies feststellen? Sicher-
lich wird jeder der beteiligten Staaten den Beginn des Krieges
seinen Interessen entsprechend festsetzen. Die Anhänger dieser
Richtung müssen doch zugeben, daß ohne Kriegserklärung der
Beginn des Krieges während einer mehr oder minder langen
Zeit ungewiß und streitig bleibt. Mit der Kriegserklärung
wird dieser Uebelstand verschwinden; denn man weiß den genauen
Zeitpunkt, in dem der Kriegszustand mit seinen Rechten und
Pflichten beginnt. Die Kriegserklärung ist demnach das genaueste,
am wenigsten zweidentige und wirksamste Mittel zur Bekannt-
machung des Kriegszustandes.
Aus diesen mehrfachen Nützlichkeits= und insbesondere recht-
lichen Gründen erkennen wir mit der Mehrzahl der Völker=
rechtslehrei die Notwendigkeit einer vorherigen Benachrichtig-
ung nicht nur an den Gegner, sondern auch an die Neutralen
an.) «
II. Die Kriegserklärung
im konventionellen Recht.
Entstehung der Konvention: „Ueber den Beginn
der Feindseligkeiten.“
Nachdem die Praxis und die Theorie des 19. Jahrhunderts
1) Bgl. die bei Blin de Bailleul S. 151 angeführten Zitaie.