Full text: Deutsches Kolonialblatt. IX. Jahrgang, 1898. (9)

gut vorbereitet. Bekanntlich wächst aber ein großer 
Bruchtheil der Ingenieurwelt Englands auch heute 
noch aus der Praxis heraus auf, ohne jeden Besuch 
einer Fachschule, und es fehlt diesen natürlich am 
allerwenigsten an denjenigen Eigenschaften, welche in 
den Kolonien in erster Linie von ihnen vorausgesetzt 
werden: der Fähigkeit, sich selbst zu helfen, die 
rohen Arbeitskräfte anzuleiten, über die gegebenen 
Hülfsmittel mit Benutzung der gerade obwaltenden 
Umstände in der richtigen Weise verfügen zu können. 
Für den Aufenthalt in den Kolonien ganz be- 
sonders auszubilden, hat sich eine Privatschule zum 
Ziele gesetzt, welche im Jahre 1872 in Verbindung 
mit dem Crystal Palace-Unternehmen in Sydenham 
gegründet wurde und von der Crystal Palace-Aktien- 
gesellschaft unterhalten wird. Die Schule ist eine 
Elementar-Ingenieurschule, welche ihren Unterricht 
ganz und gar auf die praktische Arbeit in den Werk- 
stätten begründet. Die Vorbereitung für die Ko- 
lonien bildet nur einen Theil ihres Programms, 
und sie hat mit diesem ganz besonders das Ziel im 
Auge, solchen, welche in unwirthliche Gegenden als 
Forscher, Pfadfinder, Ansiedler 2c. auswandern, zu 
einem gewissen Maße praktischer und theoretischer 
Kenntnisse zu verhelfen, welches sie in den Stand 
setzt, sich bei vollständiger Abgeschlossenheit von den 
Hülfsmitteln des Mutterlandes durch Selbsther- 
stellung der nothwendigen Ausrüstung, Unterkunfts- 
stätten 2c. an Ort und Stelle selbst zu helfen. Sie 
bringt für die Aneignung dieser Fertigkeiten ein 
Jahr in Ansatz. Ihr sonstiger Kursus ist zwei- 
jährig und bezweckt hauptsächlich, einen auf rationeller 
Grundlage aufgebauten Ersatz für die Lehrzeit des 
jungen Mannes, wie sie sich in der Regel im 
Bureau eines Ingenieurs abspielt, zu schaffen. Die 
Schule wird vorwiegend von jungen Leuten zwischen 
16 und 18 Jahren besucht und ist ganz besonders 
beliebt bei Ausländern (Afrikanern, Asiaten), welche 
nach England kommen, um sich einige Kenntnisse im 
Ingenieurwesen anzueignen und dazu die mehr 
wissenschaftlichen Kurse auf den Colleges zu weit- 
gehend oder für sie zu schwierig finden. Jeder 
Jahreskursus ist in drei Abschnitte getheilt (Winter- 
kursus, Osterkursus und Sommerkursus). 
Jahre wird nur Schlosserei und Maschinenbau ge- 
lehrt, und zwar derart, daß im Winterkursus die 
Elemente des Zeichnens, im Osterkursus die An- 
fertigung von Holzmodellen für Gußtheile sowie 
Metallguß und im Sommerkursus Schmieden, Metall- 
bearbeitung und Montieren praktisch gelehrt wird. 
Zweimal wöchentlich finden Vorlesungen (über die 
Dampfmaschine, über Eisenbahnbau, Metallbear- 
beitung cc.) statt. Das zweite Jahr ist dem Bau- 
mgenieurfach in ähnlicher Weise gewidmet, wobei 
praktische Vermessungen gemacht und aufgetragen 
werden, eine Eisenbahn, eine Dockanlage und Aehn- 
liches entworfen, ausgearbeitet und veranschlagt wird. 
Die Erledigung des Maschinenbaukursus wird dabei 
zur Vorbedingung gemacht. Die Aufgaben, welche 
die Schüler zu bearbeiten haben, halten sich durch- 
Im ersten 
  
89 — 
aus an praktische Beispiele, so ist der zweite Jahres- 
kursus z. B. augenblicklich mit dem Entwurf einer 
Verbindungsbahn zwischen der Low level und Higb 
level Station am Crystal Palace beschäftigt. 
Das Hauptgewicht der Schule ruht auf dem 
praktischen Unterricht, der hier zwei Drittel des 
ersten Jahreskursus ganz ausfüllt. Die Schüler 
lernen unter Anleitung von Fachwerkleuten die Hand- 
habung aller Wertzeuge des Tischler-, Schlosser-, 
Metallgießer= und Maschinenbaugewerbes. Sie stellen 
dabei keine beliebigen Uebungsstücke oder zusammen- 
hanglosen Maschinentheile her, sondern halten sich 
an ganz bestimmte Aufgaben; in der Regel wird in 
jedem Kursus eine kleinere Dampfmaschine fix und 
fertig von Anfang bis zu Ende ausgeführt. Auch 
die Zeichenübungen beziehen sich auf solche gerade 
vorliegenden Aufgaben. « 
Auf die Betheiligung an diesen praktischen 
Arbeiten sind auch hauptsächlich die Kolonialschüler 
angewiesen, und es unterliegt keinem Zweifel, daß 
sie in dieser Beziehung eine ausgezeichnete Schulung 
auf der Anstalt genießen. Die geringe Schülerzahl 
(augenblicklich etwa 90, welche sich auf sechs Kurse 
vertheilen) ermöglicht eine ganz individuelle Behand- 
lung jedes Einzelnen, welche nach Aussage des Di- 
rektors sich ganz besonders auch auf die Kolonial= 
schüler erstreckt. Diese werden immer nach ihren 
Einzelwünschen und in Anbetracht der für sie gerade 
vorliegenden besonderen Bedingungen unterrichtet. 
Obgleich nicht eigentlich in das Ingenieurgebiet 
gehörend, verdient doch noch eine Anstalt in diesem 
Zusammenhange erwähnt zu werden, welche lediglich 
die Vorbereitung von Kolonisten im Auge hat und 
ausschließlich für diese Zwecke gegründet ist. Es ist 
das Colonial College in Hollesley Bay, Suffolk, 
zur Ausbildung von Landwirthen für die Kolonien 
bestimmt. Auch dieses Institut ertheilt vorwiegend 
praktischen Unterricht, welcher den Umständen ent- 
sprechend auch Fächer des Ingenieurwesens, wie 
Vermessen, Nivelliren, Bewässerung 2c. einschließt 
und ihm verwandte Gewerbe, wie Schlosserei, 
Schmieden, Tischlerei 2c. mit umfaßt. Aehrliche 
Ackerbauschulen für Kolonisten bestehen, wie mir mit- 
getheilt wird, in England noch zwei oder drei, doch 
reicht ihre Bedeutung nicht an die des Colonial 
College in Hollesley Bay heran. 
— 
Jabresbericht von Lagos für 1890. 
Der als Parlamentsbericht im November 1897 
gedruckte Jahresbericht von Lagos für 1896 enthält 
folgende statistische Uebersicht über die Einkünfte der 
Kolonie aus den letzten zehn Jahren: 
Pfd. Sterl. Pfd. Sterl. 
1887 51 344 1892 68 421 
1888 57057 1893. 115 317 
1889 57 633 1894. 137 017 
1890 56340 1895. 142 019 
1891 . . 78624 1896. 179745
	        
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