Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Fünfter Band. (5)

Völkerrecht. 495 
ist. 5. Neutrale Schiffe dürfen nur aus gerechtem Anlaß und auf offenkundige Tatsachen hin 
angehalten werden; die Aburteilung soll schnell erfolgen, das Verfahren einheitlich, rasch und 
gesetzmäßig sein; den zu Unrecht Angehaltenen ist Schadensersatz zu gewähren. — Zur Durch- 
setzung dieser Regeln sollten die verbündeten Staaten Waffengewalt aufbieten. Die Nieder- 
lande, Preußen, Osterreich, Portugal und beide Sizilien traten der bewaffneten Neutralität 
bei; Frankreich erkannte ihre Grundsätze an. Die zweite bewaffnete Neutralität vom Jahre 
1800 wiederholte sie noch einmal. Bei dem Widerspruch Englands konnten sie indessen noch 
keine praktische Geltung erlangen; sie hatten mehr symptomatische Bedeutung. Für die Fort- 
bildung des Völkerrechts im 19. Jahrhundert haben sie aber die Grundlage geschaffen. Be- 
sondere Beachtung verdient auch AL. 1 9 558. 205 ff., 212/19, II 8 öSrll 2034/40. 
IV. Das Bölkerrecht vom Wiener Kongreß bis zur Gegenwart. 
An dem Guundsatz unbedingter Souveränität haben die Staaten im 19. Jahrhundert fest- 
gehalten, sich aber vielfach bei deren Ausübung sowohl den Untertanen wie auch anderen Staaten 
gegenüber beschränkt. Die Proklamation der Menschenrechte in Amerika hat in fast allen Staaten 
Europas zu konstitutionellen Einrichtungen geführt. Der Untertan ist Staatsbürger geworden: 
er äußert einen — wenn auch bescheidenen — Einfluß auf die Entstehung des Staatswillens, 
und er hat dem Staat gegenüber eine rechtlich bestimmte Freiheitsphäre. Die Anerkennung 
der Menschenrechte hat auch seine Stellung zu fremden Staaten erheblich beeinflußt. 
Die französische Revolution hatte die sich ausdehnende Kraft der Ideen bewiesen und 
gezeigt, daß die inneren Vorgänge in einem Staat für andere Staaten nicht immer gleich- 
gültig sein können. Die Kriege Napoleons I. hatten ganz Eurppa in Mitleidenschaft gezogen 
und die einzelnen Staaten einander genähert. Die Heilige Allianz — gegründet von Oster- 
reich, Preußen und Rußland am 26. September 1815 (Martens: Nouv. Rec. II 656), praktisch 
ausgedehnt auf England am 20. November 1815 (ebenda 734) und auf Frankreich am 4./12. No- 
vomber 1818 (ebenda IV 556/60) — wollte alle Angelegenheiten von allgemeiner Bedeutung 
durch gemeinschaftliches Vorgehen regeln. Als solche allgemeine Angelegenheiten betrachtete 
sie auch gewisse innere Vorgänge, insbesondere Empörungen innerhalb der einzelnen Staaten. 
Sie beurteilte diese vom Standpunkt der Legitimität aus, d. h. sie unterstützte, eventuell durch 
bewaffnete Intewention, die bestehenden, vom Wiener Kongreß eingesetzten Gewalten: Kon- 
gresse zu Aachen 1818, Troppau 1820, Laibach 1821, Verona 1822. Was in Neapel, Sardinien 
und Spanien gelungen war, sollte auch bei den von Spanien abgefallenen Kolonien in Amerika 
ins Werk gesetzt werden. Dieser Versuch scheiterte an dem Widerstand der Vereinigten Staaten. 
In seiner berühmten Botschaft vom 2. Dezember 1823 erklärte Präsident Monwe jede gewalt- 
same Unterdrückung der in Amerika gebildeten, von den Vereinigten Staaten als unabhängig 
anerkannten Staaten für ein unfreundliches Verhalten gegen die Vereinigten Staaten selbst. 
Schon vorher hatte sich England gegen die Intewention in die innerspanischen Angelegenheiten 
erklärt; auf Monroes Botschaft hin erkannte es die Unabhängigkeit der ehemaligen Kolonien 
Spaniens an. Durch ihre reaktionäre Tendenz und die ständige Interwentionspolitik ist die 
Heilige Alianz mit Recht verrufen. Ihrem unberechtigten Vorgehen lag aber ein berechtigtes 
Gemeingefühl, die Anerkennung einer Interessengemeinschaft (Gareis) zugrunde. 
Die Notwendigkeit, gewisse Angelegenheiten gemeinschaftlich zu regeln, hat sich im 
19. Jahrhundert immer wieder herausgestellt. Mit der Zunahme der Bevölkerung und des 
Verkehrs, mit der Erleichterung der Verbindungen durch die neuen Verkehrsmittel wuchsen 
die Interessen der einzelnen Staaten und die gemeinsamen Interessen, aber auch die Konflikte. 
Die Zahl der Kongresse und Konferenzen hat sich bedeutend vermehrt. Sie sind unter zwei 
Gesichtspunkten zu betrachten: 
1. Wie früher dienten sie der Beilegung schwebender Streitfragen, der Ausgleichung 
der Macht- und Interessengegensätze: der Wiener Kongreß hatte 1815 die durch die französische 
Revolution und das Kaiserreich herworgerufenen Störungen zu beseitigen, die Staaten und 
ihren Besitzstand neu zu ordnen. Die erwähnten Kongresse von 1818—1822 sollten dieses Werk 
erhalten und befestigen. Nach den Unabhängigkeitskämpfen der Griechen und Belgier wurde 
die Lostrennung ihrer neuen Staaten von der Türkei bzw. den Niederlanden in langen Kon- 
ferenzen zu London und Konstantinopel 1827—1828 bzw. zu London 1830—1832 geregelt.
	        
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