Vielleicht läßt sich diese befremdende Erscheinung
durch ein im Quellgebiet befindliches großes Reservoir
erklären, welches während der Regenzeit ungeheuere
Wassermassen aufsammelt und dieselben erst in der
Trockenzeit allmählich in das Marabett abgiebt oder
durch die Annahme zeitlicher Unterschiede der Regen-
perioden im Mündungs= und Quellgebiet, dessen
Entfernung dann eine große sein müßte. Die Wakenye
des Sultans Kibore erwiesen sich als ein durchaus
zutrauliches Völkchen. Die lang herabhängenden
Ohrlappen beweisen auch hier die Abstammung oder
wenigstens einen früheren Zusammenhang mit den
Massai. Der Sultan Kibore war eifrig bemüht, sich
unsere Freundschaft zu sichern, und bat um Bestrafung
der Wasweta, die sein Land kürzlich überfallen und
eine große Zahl Weiber und Vieh fortgeschleppt
hatten. Im weitesten Umkreise herrschte die größte
Furcht vor den Wasweta, deren Gewerbe Raub und
Mord bilde, und deren Tapferkeit so groß sei, daß
Niemand einen Kampf mit ihnen wage. In ihrer
riesengroßen, von hohen Mauern umgebenen Boma
Kiboroswa seien sie überdies unangreifbar. Die
Schilderung des Sultans Kibore machte zwar den
Eindruck krasser Uebertreibung; trotzdem wurde am
2. August der Marsch nach Kiboroswa unternommen,
um das Vertrauen der Wakenye zu rechtfertigen und
durch den Augenschein ein Urtheil über den Charakter
der Wasweta zu gewinnen. Leider bestätigten sich
die Behauptungen des Sultans Kibore durchaus.
Am 2. August, vormittags 11 Uhr, befand sich
die Expedition einer Negerfestung von überraschenden
Dimensionen gegenüber. Die Boma Kiboroswa,
zwischen zwei fließenden kleinen Wasserläufen auf
einem etwa 50 m hohen Rücken gelegen, zeigte auf
der der Marschrichtung zugekehrten Seite eine etwa
600 m lange, 3 m hohe, durch Dornenverhau auf
der Mauer verstärkte Mauer. Dieselbe war in ihrer
ganzen Länge dicht mit Kriegern besetzt, deren Speere
meterhoch die Spißen des Dornverhaus überragten.
Der Anblick war ein äußerst kriegerischer und zeigte
deutlich den Hochmuth und die feindlichen Absichten
der Wasweta. Nach zweimaliger Absendung von
Boten wurde die Aufforderung, Verpflegung an die
Expedition zu verkaufen, in beleidigender Weise da-
durch beantwortet, daß drei Negergreise mit einem
mageren Schaf aus der Festung heraustraten und
sich dem Lager näherten. Auf halbem Wege machten
dieselben jedoch ohne jeden Grund Kehrt und gingen
langsam zur Festung zurück. Einer sofort nachge-
sandten Askaripatrouille gelang es, einen der Greise
zu fangen. Dieser erklärte im Lager, daß unsere
Bemühungen, mit den Wasweta friedlich zu verhan-
deln, vergebliche bleiben würden, denn schon seit
mehreren Tagen sei bei den Wasweta Kriegsrath
abgehalten worden, in welchem die wenigen alten
Männer zum Frieden gerathen hätten. ohne die jungen
Krieger beeinflussen zu können, die „sehr Krieg“
verlangten.
Nach dieser Erklärung und angesichts der drohenden
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Haltung der Waswetakrieger, die einen nächtlichen
Ueberfall erwarten ließ, ging ich unverweilt 12 Uhr
mittags zum Angriff über. (Vergl. Gefechtsbericht,
Anlage.) Nach halbstündiger tapferer Gegenwehr
der Wasweta wurde die Boma Kiboroswa gestürmt.
Von den naheliegenden Hügeln aus schauten die
Nachbarn der Wasweta dem Kampfe zu, der all-
gemein für eine Probe auf unsere Tapferkeit be-
trachtet zu werden schien. Die Wakenye wagten
jedoch nicht, mit uns am Kampfe theilzunehmen, weil
sie wohl an einem Siege unsererseits zweifelten und
für diesen Fall die Rache der Wasweta doppelt
fürchteten. Nach Einnahme der Festung kamen die
Wakenye des Sultans Kibore glückwünschend herbei
und betheiligten sich in großer Zahl an der gewal-
tigen Arbeit der Niederlegung der am Fuße 2,5 m
dicken Cyklopenmauern, die am 3. August abends
vollendet war.
Rasch eilte die Kunde von dem Siege der Wa-
dakki (Deutschen) über die Wasweta durch die Lande
nördlich des Mara bis nach Ugaya hin, und die
Folge war, daß die Sultane des Nordens um
Freundschaft baten.
Ohne die Eroberung von Kiboroswa aber würde
die Expedition wohl auch weiterhin allenthalben
aktiven oder passiven Widerstand gefunden haben,
und die Anlage eines Postens nördlich des Mara,
eine Hauptausfgabe der Station, wäre auf große
Schwierigkeiten gestoßen.
Am 4. August wurde der Marsch nach der
Moribucht angetreten. Drei Märsche durch ein nur
stellenweise bewohntes, malerisches, sehr wildreiches
Pori längs des Segengheflusses führten nach der
Moribucht. Diese im Norden und Süden von
bizarren Granitfelsen umgebene Bucht ist von wild-
romantischer, landschaftlicher Schönheit und zeigt
einen scharf abgesetzten, nur stellenweise mit Papyrus
bewachsenen Strand. In Kirugu auf der Nord-
und Nordostseite bilden einige Felsdörfer, die von
Wakiseruleuten bewohnt sind, das kleine Reich des
Sultans Nyamkami. Der große Holzmangel, der
auf weite Strecken um die Moribucht herum auf-
tritt, im Verein mit der verschwindend geringen
Bevölkerungsmenge, ließen die Anlage eines Postens
daselbst, die rasch und billig von Statten gehen und
von Nutzen sein soll, nicht zu. Der Morifluß zeigte
bei seiner Ueberschreitung dicht oberhalb der Bucht
einen Wasserstand von Kniehöhe. Während im Jahre
1886 Dr. Fischer in Mara einen minimalen Wasser-
stand vorfand, zwang ihn wenige Tage nach dessen
Ueberschreitung die Hochstuth des Mori zu zwei-
tägigem Aufenthalt. Jetzt hat sich also gerade eine
entgegengesetzte Erscheinung gezeigt.
Am 8. August, als die Expedition noch in Kirugu
lagerte, traf eine Flottille von 21 Kanus, meist
Wakerewe-Kanus, in der Moribucht ein mit Post
und Europäerlasten. Der Sultan Mkaka von Uke-
rewe führte die Flottille selbst. Er erzählte, auf
Ukerewe und im südlichen Muanzabezirk habe sich