Full text: Deutsches Kolonialblatt. XVI. Jahrgang, 1905. (16)

RAus fremden Kolonien und 
FProduktionsgebielen. 
Auszug aus dem Bericht der Rongo--Untersuchungs- 
kommission. 
Die Kongo-Untersuchungskommission, welcher der 
Präsident des Appellationsgerlchts von Boma, Gia- 
como Nisco, und der Schweizer Schuhmacher an- 
gehörten, hatte den Auftrag, nachzuforschen, ob in 
gewissen Teilen des kongostaatlichen Gebietes Fälle 
schlechter Behandlung der Eingeborenen durch Privat- 
personen oder Staatsbeamte vorgekommen selen, 
gegebenenfalls die nützlichen Verbefferungen vorzu- 
schlagen und im Falle, daß die Untersuchung Miß- 
bräuche feststellte, Vorschläge über die geelgnetsten 
Maßregeln zu machen, um diesen Mißbräuchen zum 
Wohle der Bewohner und der guten Regierung des 
Gebietes ein Ende zu machen“. 
Die Reise der Kommission, deren Ergebnis in 
dem vorliegenden Berlcht enthalten ist, dauerte vom 
1. November 1904 bis zum 13. Februar 1905. 
Die Untersuchungen erstreckten sich hauptsächlich auf 
folgende 8 Punkte, welche lediglich im Interesse der 
eingeborenen Bevölkerung geprüft wurden: 
1. Die Bodengesetzgebung des Staates und die 
Handelsreihett. 
2. das System der Arbeitsauferlegung, die Miß- 
stände, welche aus dem Arbeltszwange folgen; 
3. die militärischen Expeditionen, Festnahme von 
Gesseln Alcche Behandlung, Verstümmelungen usw.; 
4. System der Konzessionen; 
5. die Entvölkerung und ihre Ursachen; 
6. die Vormundschaft, welche von dem Staat 
und den Missionen über die „verlassenen“ Kinder 
ausgeübt wird; 
7. die Rekrutierung der Soldaten und Arbeiter; 
8. die Justizverwaltung. 
Bodengesetzgebung und Handelsfreiheit. 
Die Kommission erkennt die Berechtigung des 
Staates an; das herrenlose Land sich anzueignen, 
indessen sieht sie in der bei den Beamten des Kongo- 
staates üblichen Interpretation der Begriffe „be- 
wohntes und herrenloses Land“ eine Gefahr, welche 
den Eingeborenen in hohem Grade die Lebens- 
bedingungen beschneide. Bisher sind als „von Ein- 
geborenen bewohntes Land“ allgemein nur die 
Gebietsteile angesehen worden, in welchen die Ein- 
geborenen ihre Dörfer erbaut und ihre Kulturen 
angelegt haben, und selbst in diesen Teilen können 
die Eingeborenen ihre Bodenprodukte- nur in dem 
vor Errichtung des Kongostaates vorhandenen Um- 
fange verwerten. Da der größte Teil des Landes 
nicht in Kultur genommen ist, gewährt diese Inter- 
pretation dem Staate ein unumschränktes und aus- 
schließliches Elgentumsrecht über beinahe die Ge- 
samtheit des Landes und damit das allelnige 
Verfügungsrecht über sämtliche Bodenerzeugnisse. 
Die Kommission empfiehlt eine weitgehende und 
liberale Interpretation derjenigen Gesetze, welche den 
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Eingeborenen die Nutzung der Ländereien, die sic 
unter der Herrschaft ihrer Häuptlinge innegehabr 
haben, und die freie Verfügung über die Produkte 
desselben gewähren, ähnlich wie das französische 
System den Eingeborenen außer den von ihnen be- 
wohnten Dörfern Kultur-, Weide= und Waldland 
einräumt, dessen Umfang durch Verordnung des 
Gouverneurs festgesetzt wird. 
Zur Beförderung der Handelsfreiheit wünscht 
dee Kommission Einführung von Goldmünzen, anstatt 
der Tauschwaren, deren Wert von. den Distrikts- 
kommissaren oder den Direktoren der Handelsgesell- 
schaften bestimmt wird, und die zum größten Telle 
stark entwertet sind, so daß der Eingeborene, welcher 
gezwungen ist, dieses Zahlungsmittel für den Nenn- 
wert anzunehmen, häufig in seinen Interessen ge- 
schädigt wird. 
Steuerleistungen. 
Das Gesetz vom 18. November 1903 enthält 
solgendes Prinzip: Jeder erwachsene und arbeits- 
fähige Eingeborene ist dem Staat zu Leistungen in 
Gestalt von Arbeiten verpflichtet, die für den ein- 
zelnen monatlich 40 Stunden nicht überschreiten 
dürfen und nach der ortsüblichen Arbeitertaxe zu 
bezahlen sind. Zu diesem Zweck werden von den 
Distriktskommissaren Listen ausgestellt, welche die 
Steuerpflichtigen der Dörfer namentlich aufzählen. 
Die Distriktskommissore setzen die Mengen der ver- 
schiedenen Produkte sest, welche dem Ergebnis der 
auferlegten Arbeitszeit entsprechen sollen, und können 
anstatt der Arbeitsstunden von einzelnen Eingeborenen, 
von Gruppen oder Dörfern die Lieferung der ent- 
sprechenden Menge an Produkten verlangen. Die 
Eingeborenen können sich dadurch von den Leistungen 
befreien, daß sie eine regelmäßig festzusetzende Menge 
von Produkten aus ihren Kulturen und ihrer In- 
dustrie an den Staat abliefern. Im Falle der 
Weigerung, die Abgaben in natura zu leisten, kann 
den Eingeborenen in Ermanglung beweglichen oder 
unbeweglichen Vermögens Zwangsarbelt auferlegt 
werden. 
Zur Berechnung der Leistungen ist entweder die 
Durchschnittszelt, welche zur Gewinnung eines be- 
stimmten Produktes nötig ist, geschätzt worden, oder 
man hat sich darauf beschränkt, auf Grund der orts- 
üblichen Arbeitslöhne festzusetzen, welchen Wert die 
in der vorgeschriebenen Zeit geleistete Arbeit dar- 
stellen würde, und hat die Lieferung von Produkten 
verlangt, die dem so berechneten Wert entsprechen. 
Die erste Art der Berechnung beruht auf willkür- 
lichen Schätzungen, die zweite kann je nach der Be- 
wertung des Produkts oder der Arbeit ins Un- 
gemessene steigen. Die Kommission wünscht, daß der 
Eingeborene in den Stand gesetzt werde, durch 
Leistung einer monatlich 40 stündigen Arbeit sich 
jeder Verpflichtung gegen den Staat zu entledigen 
und über seine übrige Zeit frei zu versügen, und 
daß das gesetzlich vorgeschriebene Entgelt derart 
bemessen sei, daß es tatsächlich als Ansporn zur 
Arbeit diene.
	        
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