Full text: Deutsches Kolonialblatt. XVII. Jahrgang, 1906. (17)

Wie viele Arten es überhaupt gibt, ist auch noch 
nicht annähernd zu bestimmen. Ich habe mich der 
Mühe unterzogen, die Namen derselben aufzuzeichnen. 
Trotzdem ich schon die Zahl von 500 belnahe erreicht 
habe, begegnen mir noch neue Arten. Die meisten 
Bäume sind vom Fuß bis zur Krone von Lianen 
und Schmarotzern bedeckt, welche teils gerade, teils 
spiralförmig am Stamm emporklettern und ihre 
Ranken wie ein Netz von Telegraphendrähten von 
einem Baum zum anderen ausspannen und in feinen, 
dünnen Strängen vom Wipfel herab bis auf den 
Boden hängen. Die wirr durcheinander rankenden 
Gewächse bilden mit ihrer Fülle von Blättern in 
den Zweigen und Asten der Bäume ein natürliches 
Dach, das nur einzelne Sonnenstrahlen in das 
geheimnisvolle Dunkel des Waldes eindringen läßt. 
Von den Früchten der Urwaldbsäume werden 
nur wenige von den Eingeborenen gegessen; sie 
dienen größtenteils nur den fliegenden Hunden und 
Vögeln zur Nahrung oder fallen ab und werden 
am Boden von Wildschweinen und Kasuaren ver- 
speist. Auch vereinzelt findet man mitten im Walde 
die eigentlichen Fruchtbäume der Eingeborenen, wie 
Brotfruchtbäume, Malaysche Apfel und Kaddenge, 
eine Art Kirschen u. a. m. Wahrscheinlich sind die 
Samen von Vögeln dahin verpflanzt worden. 
Die Blütenentwicklung der Waldbäume füllt 
wenig ins Auge, und ein Vergleich mit unseren 
blühenden Fruchtbäumen im Frühjahr würde zugunsten 
der letzteren ausfallen. Unvergleichlich schön ist aber 
der Anblick blühender Schlingpflanzen am Saume 
des Waldes, die die ganze Krone eines Baumes wie 
mit einem schneeigen Netze oder scharlachroten Teppich 
überspannen. 
So heiter uns der Urwald erscheint bei hellem 
Wetter, wenn einzelne Sonnenstrahlen durch das 
dichte Laubdach dringen und auf den zitternden 
Blättern des Unterholzes ihr Licht= und Farbenspiel 
treiben, so unbehaglich ist es darin bei bedecktem 
Himmel und Regenwetter. Am freudigsten stimmt 
der Urwald am Morgen und des Abends einige 
Zeit vor dem Untergange der Sonne. Da herrscht 
Leben über uns im Laubgewölbe und unten am 
Boden ein Halbdunkel. Ein sanftes Wehen zieht 
durch das Baumgewirr, das Blattwerk glänzt, und 
auf den Blättern funkeln die Tautropfen. Papageien, 
in den verschiedensten Farben schillernd, und weiße 
Kakadus flattern kreischend über den Wipfeln; große 
bunte Tauben girren und halten behaglich im nächsten 
Glpfel eines Fruchtbaumes ihr Frühstück; mächtige 
Nashornvögel fliegen geräuschvoll auf und lassen 
schmetternd ihren Ruf ertönen. Ganz in unserer 
Nähe am Boden lockt und scharrt das Buschhuhn. 
Von dem Gipfel eines riesigen Ficus ertönt nach 
kurzen Pausen das hohle, furchterregende „Huhnu“, 
der Kamukelster, das dem Gebell des Hundes ähnlich 
ist. Freilich fehlt es an Singvögeln, die den 
Wanderer mit ihren Weisen zur Freude stimmen 
und in der menschlichen Seele frohe Empfindungen 
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wecken. Das Waldkonzert ist mehr ein mutwilliges 
Lärmen, eine übersprudelnde Lebenslust, die auf die 
Dauer die Nerven reizt. 
Je höher die Sonne steigt, desto mehr nimmt 
das Leben im Walde ab. Düstere Schwüle brütet 
überall. Die Vogelwelt hat ihr Konzert abgebrochen 
und hält sich nun in den Laubkronen verborgen; 
nur die Myrtaden von Insekten, Zikaden, Grillen, 
Blenen, Wespen usw. zirpen, furren und pfelfen 
weiter. Endlich, wenn die Sonne im Westen steht, 
atmet die Tier= und Vogelwelt wieder auf und 
unterbricht die Ruhe und Stille, die während der 
heißen Tageszeit im Walde geherrscht hat. 
Düsterschweigend sind die Nächte im Urwald. 
Totenstille überall; es regt sich kein Hauch, nur der 
nahe Wildbach rauscht und tost, und von den zahl- 
losen Insekten erhebt das eine oder andere seine 
Stimme. Erst nach Mitternacht erwacht die Vogel- 
welt. Der Kau, ein Vetter unseres Kuckucks, doch 
größer an Gestalt und über aristokratischere Be- 
wegungen verfügend, beginnt zuerst sein Morgenlied: 
„Kiak, kiak, Kiak“, und wiederholt es solange, bis 
bei eintretender Morgendämmerung die übrigen Vögel 
ch dem Konzert anschließen. 
Furchtbar aber wird der Aufenthalt im Urwald, 
wenn ein Gewitter über ihm steht, wenn unheim- 
liches Dunkel denselben überzieht und schreckliche 
Donnerschläge grollend widerhallen, wenn der Wind 
einsetzt und die Waldriesen schüttelt, daß sie ächzen 
und sich beugen. Doch schreckenerregender als ein 
Gewitter ist der Losbruch des Nordwestmonsuns, 
wenn der Himmel ringsum mit grauen Wolken ver- 
hüllt ist, und der Sturm und Regen Tage und 
Nächte ohne Unterbrechung anhält. Mit gewaltigem 
Zorn stürmt er in die dichten Laubkronen und zerrt 
sie hin und her und reißt ihre Blätter ab. Morsche 
Aste und Zweige, mit prüchtigen Parasiten geschmückt, 
fallen dumpf dröhnend herab, Baumkronen brechen, 
Böume werden entwurzelt und hauen sich dröhnend 
belm Falle in den Boden. Dabei herrscht ein Ge- 
töse, Sausen und Rauschen, daß man in dem allent- 
halben herrschenden Aufruhr kaum weiß, wohin sich 
wenden. Eine Unzahl Bäume fällt so dem ersten 
Ansturm des Nordwestes zur Beute. Aus dem 
wilden Gewirr gestürzter Bäume ragt hier und da 
ein kronenloser Stamm hervor, an dem zerfetzt die 
Schlingpflanzen herabhängen. Dazwischen prasselt 
unaufhörlicher Regen hernieder und macht die Fuß- 
pfade zu Pfützen. Wer nicht gerade vom Orkan 
überrascht wird, und wen nicht dringende Geschäfte 
trelben, der wagt sich nicht in den Urwald, wo als- 
dann die Natur in Aufruhr ist und Tod von allen 
Seiten droht. Nach Tagen und Wochen langer 
Stürme sieht es im Walde wie auf einem Schlacht- 
felde aus. Bäume und Aste liegen kreuz und quer 
übereinander gebettet und versperren den Weg. Doch 
die Wunden vernarben schnell. Ein Monat genügt, 
um das Totenfeld wieder zu beleben, ein Beweis 
von der unverfiegbaren Kraft der tropischen Natur.
	        
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