Wie viele Arten es überhaupt gibt, ist auch noch
nicht annähernd zu bestimmen. Ich habe mich der
Mühe unterzogen, die Namen derselben aufzuzeichnen.
Trotzdem ich schon die Zahl von 500 belnahe erreicht
habe, begegnen mir noch neue Arten. Die meisten
Bäume sind vom Fuß bis zur Krone von Lianen
und Schmarotzern bedeckt, welche teils gerade, teils
spiralförmig am Stamm emporklettern und ihre
Ranken wie ein Netz von Telegraphendrähten von
einem Baum zum anderen ausspannen und in feinen,
dünnen Strängen vom Wipfel herab bis auf den
Boden hängen. Die wirr durcheinander rankenden
Gewächse bilden mit ihrer Fülle von Blättern in
den Zweigen und Asten der Bäume ein natürliches
Dach, das nur einzelne Sonnenstrahlen in das
geheimnisvolle Dunkel des Waldes eindringen läßt.
Von den Früchten der Urwaldbsäume werden
nur wenige von den Eingeborenen gegessen; sie
dienen größtenteils nur den fliegenden Hunden und
Vögeln zur Nahrung oder fallen ab und werden
am Boden von Wildschweinen und Kasuaren ver-
speist. Auch vereinzelt findet man mitten im Walde
die eigentlichen Fruchtbäume der Eingeborenen, wie
Brotfruchtbäume, Malaysche Apfel und Kaddenge,
eine Art Kirschen u. a. m. Wahrscheinlich sind die
Samen von Vögeln dahin verpflanzt worden.
Die Blütenentwicklung der Waldbäume füllt
wenig ins Auge, und ein Vergleich mit unseren
blühenden Fruchtbäumen im Frühjahr würde zugunsten
der letzteren ausfallen. Unvergleichlich schön ist aber
der Anblick blühender Schlingpflanzen am Saume
des Waldes, die die ganze Krone eines Baumes wie
mit einem schneeigen Netze oder scharlachroten Teppich
überspannen.
So heiter uns der Urwald erscheint bei hellem
Wetter, wenn einzelne Sonnenstrahlen durch das
dichte Laubdach dringen und auf den zitternden
Blättern des Unterholzes ihr Licht= und Farbenspiel
treiben, so unbehaglich ist es darin bei bedecktem
Himmel und Regenwetter. Am freudigsten stimmt
der Urwald am Morgen und des Abends einige
Zeit vor dem Untergange der Sonne. Da herrscht
Leben über uns im Laubgewölbe und unten am
Boden ein Halbdunkel. Ein sanftes Wehen zieht
durch das Baumgewirr, das Blattwerk glänzt, und
auf den Blättern funkeln die Tautropfen. Papageien,
in den verschiedensten Farben schillernd, und weiße
Kakadus flattern kreischend über den Wipfeln; große
bunte Tauben girren und halten behaglich im nächsten
Glpfel eines Fruchtbaumes ihr Frühstück; mächtige
Nashornvögel fliegen geräuschvoll auf und lassen
schmetternd ihren Ruf ertönen. Ganz in unserer
Nähe am Boden lockt und scharrt das Buschhuhn.
Von dem Gipfel eines riesigen Ficus ertönt nach
kurzen Pausen das hohle, furchterregende „Huhnu“,
der Kamukelster, das dem Gebell des Hundes ähnlich
ist. Freilich fehlt es an Singvögeln, die den
Wanderer mit ihren Weisen zur Freude stimmen
und in der menschlichen Seele frohe Empfindungen
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wecken. Das Waldkonzert ist mehr ein mutwilliges
Lärmen, eine übersprudelnde Lebenslust, die auf die
Dauer die Nerven reizt.
Je höher die Sonne steigt, desto mehr nimmt
das Leben im Walde ab. Düstere Schwüle brütet
überall. Die Vogelwelt hat ihr Konzert abgebrochen
und hält sich nun in den Laubkronen verborgen;
nur die Myrtaden von Insekten, Zikaden, Grillen,
Blenen, Wespen usw. zirpen, furren und pfelfen
weiter. Endlich, wenn die Sonne im Westen steht,
atmet die Tier= und Vogelwelt wieder auf und
unterbricht die Ruhe und Stille, die während der
heißen Tageszeit im Walde geherrscht hat.
Düsterschweigend sind die Nächte im Urwald.
Totenstille überall; es regt sich kein Hauch, nur der
nahe Wildbach rauscht und tost, und von den zahl-
losen Insekten erhebt das eine oder andere seine
Stimme. Erst nach Mitternacht erwacht die Vogel-
welt. Der Kau, ein Vetter unseres Kuckucks, doch
größer an Gestalt und über aristokratischere Be-
wegungen verfügend, beginnt zuerst sein Morgenlied:
„Kiak, kiak, Kiak“, und wiederholt es solange, bis
bei eintretender Morgendämmerung die übrigen Vögel
ch dem Konzert anschließen.
Furchtbar aber wird der Aufenthalt im Urwald,
wenn ein Gewitter über ihm steht, wenn unheim-
liches Dunkel denselben überzieht und schreckliche
Donnerschläge grollend widerhallen, wenn der Wind
einsetzt und die Waldriesen schüttelt, daß sie ächzen
und sich beugen. Doch schreckenerregender als ein
Gewitter ist der Losbruch des Nordwestmonsuns,
wenn der Himmel ringsum mit grauen Wolken ver-
hüllt ist, und der Sturm und Regen Tage und
Nächte ohne Unterbrechung anhält. Mit gewaltigem
Zorn stürmt er in die dichten Laubkronen und zerrt
sie hin und her und reißt ihre Blätter ab. Morsche
Aste und Zweige, mit prüchtigen Parasiten geschmückt,
fallen dumpf dröhnend herab, Baumkronen brechen,
Böume werden entwurzelt und hauen sich dröhnend
belm Falle in den Boden. Dabei herrscht ein Ge-
töse, Sausen und Rauschen, daß man in dem allent-
halben herrschenden Aufruhr kaum weiß, wohin sich
wenden. Eine Unzahl Bäume fällt so dem ersten
Ansturm des Nordwestes zur Beute. Aus dem
wilden Gewirr gestürzter Bäume ragt hier und da
ein kronenloser Stamm hervor, an dem zerfetzt die
Schlingpflanzen herabhängen. Dazwischen prasselt
unaufhörlicher Regen hernieder und macht die Fuß-
pfade zu Pfützen. Wer nicht gerade vom Orkan
überrascht wird, und wen nicht dringende Geschäfte
trelben, der wagt sich nicht in den Urwald, wo als-
dann die Natur in Aufruhr ist und Tod von allen
Seiten droht. Nach Tagen und Wochen langer
Stürme sieht es im Walde wie auf einem Schlacht-
felde aus. Bäume und Aste liegen kreuz und quer
übereinander gebettet und versperren den Weg. Doch
die Wunden vernarben schnell. Ein Monat genügt,
um das Totenfeld wieder zu beleben, ein Beweis
von der unverfiegbaren Kraft der tropischen Natur.