Object: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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der politischen Reise des einzelnen Volks. Diese 
können allerdings eine sehr weitgehende Preß- 
freiheit auch vom christlichen Standpunkt aus 
wünschenswert und selbst notwendig machen. Hat 
die Staatsgewalt nicht den genügenden Willen 
oder nicht die nötige Kraft, allen Ausschreitungen 
der Presse entgegenzutreten, oder ist das nach den 
bestehenden Verhältnissen ganz unmöglich, wird 
tatsächlich die Verbreitung materialistischer, ratio- 
nalistischer, atheistischer Grundsätze, die Unter- 
stützung kirchen= und religionsfeindlicher, ja selbst 
im besondern Sinn unsittlicher Bestrebungen in 
der akatholischen Presse schrankenlos gestattet, so 
kann es unter solchen Umständen berechtigt werden, 
eine sehr weitgehende Preßfreiheit zu ver- 
langen, um auch der katholischen Presse vollständige 
Freiheit zur Verteidigung der christlichen Grund- 
sätze zu geben, und diese darf dann als ein relativ 
hohes Gut betrachtet werden. Ahnlich können die 
Verhältnisse in parilätischen Staaten liegen. Völlig 
unparteiische Behandlung der Presse ist in solchen 
anscheinend unmöglich, weil die Regierung stets 
mit ihren Sympathien nach der einen oder andern 
Seite hinneigen wird. Wenn die Glaubensspal- 
tung einen festen Bestand angenommen hat, würde 
es unmöglich sein und zu noch größeren Übeln 
führen, wenn eine Konfession von ihrem Stand- 
punkt aus die Schriften der andern unterdrücken 
wollte. Die verschiedenen Bekenntnisse sind darauf 
angewiesen, sich zu vertragen, und müssen dann 
auch ihre gegenseitigen Ansichten achten. Das gilt 
sowohl für Länder, wo die Protestanten in der 
Übermacht sind, als auch für Länder, wo die 
Katholiken der herrschende Teil sind. Ein ähn- 
licher Gesichtspunkt kann maßgebend sein, um in 
Ländern mit sozial sich schroff gegenüberstehenden 
Parteien ein größeres Maß von Preßfreiheit als 
das kleinere Ubel erscheinen zu lassen. Unter solchen 
Verhältnissen erscheint die Regelung der Presse als 
eine ebenso schwierige wie wichtige Aufgabe der 
Gesetzgebung. Gegenwärtig ist in allen zivilisierten 
Staaten ein großes Maß von Preßfreiheit gewähr- 
leistet in dem Sinn, daß der Staat Abstand ge- 
nommen hat von allen vorgängigen Maßregeln 
zur Verhütung des Mißbrauchs und sich beschränkt 
auf nachträgliche Bestrafung. Selbst diese wird 
vielfach so unvollständig angewandt, daß eine 
gänzliche Straflosigkeit für viele Ausschreitungen 
der Presse besteht. 
Diese Freiheit ist in jüngster Zeit wohl am 
rücksichtslosesten mißbraucht worden von der Presse 
der sozialdemokratischen Partei, so daß es ver- 
ständlich ist, wenn Bestrebungen entstanden, ge- 
rade mit Rücksicht auf diese Partei weitere Be- 
schränkungen der Preßfreiheit einzuführen. Doch 
hat inzwischen der mit dem deutschen Sozialisten- 
gesetz vom 21. Okt. 1878 (s. unten) gemachte 
Versuch klar gezeigt, daß einer Partei wie der 
sozialdemokratischen mit solchen Maßregeln nicht 
beizukommen ist, daß vielmehr das Bestehen solcher 
Spezialgesetze bei dem betroffenen Volksteil nur 
Presse usw. 
  
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Verbitterung und Verhärtung bewirkt, die durch 
die Gleichheit des Standes ihre näherstehenden 
Volksgenossen infolge eines natürlichen Solidari- 
tätsgefühls der Verführung und Verhetzung schutz- 
los preisgibt, daß es die Bewegung nur an der 
Oberfläche unterdrückt und dadurch in weiten 
Kreisen den Antrieb zu sozialen Reformen, welche 
allein die Krankheit an ihrem Sitz treffen, schwächt 
und endlich der religiösen Einwirkung auf die 
sozialdemokratischen Arbeitermassen unübersteig- 
liche Hindernisse entgegensetzt. 
Von Anfang ihres Bestehens hat die katho- 
lische Kirche das Recht geübt, Bücher, von denen 
der Reinheit des Glaubens und der Sitten Ge- 
fahr drohte, unter Strafe zu verbieten. Das erste 
ausdrückliche Bücherverbot wird berichtet vom Kon- 
zil von Nicäa gegen ein Buch des Arius. Weitere 
Verbote gingen teils von Konzilien teils von den 
Päpsten teils von einzelnen Bischöfen aus. Die 
Zeit des christlichen Mittelalters befolgte hinsicht- 
lich der häretischen Bücher dieselben Grundsätze. 
Es wurden z. B. Schriften des Johann Scotus 
Erigena, des Gottschalk, des Abälard, des Arnold 
von Brescia, des Hus und Wicliff verurteilt und 
verbrannt. Mit der Erfindung der Buchdrucker- 
kunst mußte das Verfahren der Kirche sich ändern. 
Bisher waren die Bücher durch das mühsame und 
zeitraubende Abschreiben vervielfältigt worden und 
dadurch in ihrer Verbreitung beschränkt. Es ge- 
nügte daher ein nachträgliches Verbot. Mit der 
Buchdruckerkunst trat ein Verbreitungsmittel von 
bisher unerhörter Tragweite in die Welt. Den 
stets wachsenden Mißbräuchen gegenüber griff die 
Kirche zu dem Mittel der Zensur, censura 
praevia. Papst Sixtus IV. verordnete schon im 
Jahr 1471, es solle ohne päpstliche Erlaubnis kein 
Buch gedruckt werden. Doch war diese Vorschrift 
nicht durchzuführen. Im Jahr 1492 bestimmte 
deshalb Papst Alexander VI., welcher seitdem als 
der Urheber der präventiven Bücherzensur gilt, es 
solle kein Buchdrucker ein Buch anders als nach 
erfolgter Begutachtung seines Bischofs drucken. 
Dekrete desselben Papstes von 1496 und 1501, 
letzteres besonders für die Kirchenprovinzen Köln, 
Mainz, Trier und Magdeburg, vervollständigten 
die Einrichtung der Zensur. Als die kirchenfeind- 
lichen und häretischen Schriften unausgesetzt sich 
mehrten, brachte man sie in eigne Verzeichnisse, 
wie solches bereits 1540 Karl V. für Flandern, 
1542 die Sorbonne in Paris, 1546 die Univer- 
sität Löwen, 1548 der päpstliche Nuntius della 
Casa in Venedig tat. Diesem Vorgang folgte 
man in Rom. 1559 ließ Papst Paul IV. das 
erste allgemeine Verzeichnis verbotener Bücher von 
den gelehrtesten Theologen herausgeben. Diese 
repressive Maßregel wurde schon darum nötig, 
weil immer mehr Schriften ohne die bischöfliche 
Zensur erschienen, besonders in den protestantisch 
gewordenen Gegenden. Das Konzil von Trient 
(1545/63) traf in seiner vierten Sitzung sorgfältige 
Bestimmungen über möglichst korrekten Druck der
	        
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