Full text: Deutsches Kolonialblatt. XVII. Jahrgang, 1906. (17)

sehr unbestimmte Antwort. Ich möchte deshalb 
glauben, der Eingeborene denkt vor allem nur an 
Seelen jener, die er hier auf Erden gekannt hat, 
und kümmert sich um das Schicksal seiner Ahnen 
nicht mehr. Die Idee der Vergeltung, der Freude 
oder der Trauer im Jenseits ist ihm völlig fremd. 
Allgemein geglaubt wird auch die Existenz einer 
mythischen Schlange (a chamki), die auf hohen, 
knorrigen Bäumen lebt. Alle Bäume, welche an 
ihren Stämmen Auswüchse und Knorren zeigen, 
werden für Wohnsitze derselben gehalten. Die Aus- 
wüchse dienen ihr zum leichteren Auf= und Abllettern. 
Die Chamki hat auch Kinder, die wie die Mutter 
selbst jeden, der sich unterstehen würde, den Baum 
anzuplätzen oder zu fällen, so verwunden würden, 
daß er stürbe. Die Eingeborenen fürchten die Chamki 
mehr als die gewöhnlichen Geister, vor allem schon 
deshalb, weil sie direkt darauf ausgeht, ihnen zu 
schaden, ihnen Unglück, Krankheit oder Tod anzutun. 
Um sich gegen ihre Angriffe zu schützen, gebraucht 
der Eingeborne gewisse abergläubische Mittel, deren 
Kenntnis nur bestimmten Männern und Frauen 
eigen ist. Letztere unterscheiden sich aber durch nichts 
von ihren Stammesgenossen und erhalten auch keine 
Bezahlung für die Ausübung ihrer Kunst. Hin und 
wieder kommt es wohl vor, daß der eine oder andere 
dieser Eingeweihten den Leuten mit Behexung droht 
oder ihnen zur Zeit allgemeiner Krankheit oder 
Sterbens den Glauben beibringt, Gesundheit und 
Übelbefinden läge in seiner Händ. Forschen wir 
nach, von wem der Eingeborene in allen selnen aber- 
gläubischen Handlungen Hilfe und Schutz gegen böse 
Geister, übelwollende Menschen und Krankheit er- 
wartet, so weiß der Gefragte nichts zu antworten 
und ist erstaunt, wie wir ihm überhaupt eine solche 
Frage stellen können. Die Existenz der Geister steht 
für ihn gerade so felsensest, wie das Bewußtsein von 
der Macht seiner Zauberworte. Es unterliegt keinem 
Zweifel, daß, vor Jahrhunderten vielleicht, gesündere 
Vorstellungen über dieses mächtige Etwas, zu dem 
man in den verschiedensten Umständen des Lebens 
gewisse Worte spricht und bestimmte Zeremonien 
verrichtet, noch bestanden haben und erst im Laufe 
der Zeiten aus ihrer Erinnerung geschwunden sind. 
Das, was den Sinnen eutging, geriet in Vergessen- 
heit, die Außerlichkeit dagegen, welche die Anrufung 
dieses geheimnlsvollen Wesens begleitete, wurde zur 
Hauptsache und bis auf unsere Tage gerettet. Die 
Möhlichkeit dieses Vorganges wird um so glaub- 
würdiger, wenn wir die verschiedenen Zauberformeln 
näher prüfen. Sie sind meistens dunkel und ganz 
unverständlich gehalten. Die Sprache widerspricht 
oft den jetzigen Regeln der Grammatik. Zudem 
enthält sie Wörter, deren Sinn von den Eingeborenen 
selbst nicht mehr erklärt werden kann. Wir stehen 
also hier ohne Zweisel vor Resten eines verloren 
gegangenen Kultus. Fast mit jeder abergläubischen 
Handlung ist der Gebrauch von Kalkstaub verbunden. 
Die Anwendung desselben ist meistens unerläßliche 
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Bedingung für den Erfolg der Zeremonie. Es ist 
nach meinem Wissen noch von niemand zu erklären 
versucht worden, warum der gebrannte Korallenkalk 
nicht nur in Baining, sondern überhaupt in der 
Südsee eine so hervorragende Rolle im Haushalt 
der Eingeborenen, sowohl als Reizmittel, wie auch 
als ausschlaggebendes Begleitmittel bei allen Be- 
hexungen spielt, und vor allem, was ihm im letzteren 
Falle eine so wichtige Bedeutung hat geben können. 
Der Eingeborene vermag uns auch hier, wie in so 
vielen anderen Sachen, keine befriedigende Erklärung 
zu erteilen. Er beruft sich wie immer auf die alt- 
hergebrachte Sitte und denkt nicht im entferntesten 
daran, seine Handlungsweise einer Prüfung nach 
ihrem Wert oder Unwert zu unterziehen. 
XII. 
Geburt und erste Erziehung der Kinder. 
Der Baininger kommt unter wenig Umständlich- 
keiten auf die Welt. Es soll anscheinend keine aber- 
gläubische Zeremonie stattfinden, um die Geburt des 
zu erwartenden Kindes günstig zu beeinflussen. Fühlt 
die Baininger Frau die Stunde ihrer Entbindung 
nahe, so ruft sie die Nachbarsfrauen und Verwandten 
zu sich, um ihr beizustehen; meistens aber befinden 
sich überhaupt schon mit ihr in derselben Hütte eine 
ganze Anzahl Weiber. Das neugeborene Kind wird 
anfangs soviel als möglich an das Feuer gehalten, 
um es zu erwärmen, zuweilen wickelt man es auch 
zu diesem Zweck in ein Stück Tapa ein. Angeblich, 
um die Schädeldecke zu schützen, wickeln sie den 
Kopf in Gras und Blätter ein. Nach erfolgter Ge- 
burt ist es den Männern wieder erlaubt, die Hütte 
zu besuchen. Ist das neugeborene Wesen ein Knabe, 
so sagt der eine oder andere Besucher, indem er 
auf das Kind zelgt: „Goa anenka“, d. h. mein 
Namensvetter. Auf gleiche Welse steht es auch den 
Weibern zu, ihren Namen dem Kinde beizulegen. 
Die Namen der Eingeborenen haben alle eine Be- 
deutung; sie bezeichnen entweder eine Bewegung, ein 
Tier, ein Holz oder irgend einen Gegenstand. Bringt 
eine Frau ein totes Kind zur Welt, so wickelt es 
der Vater in Blätter ein und legt es auf einen 
Baum. Zmwillinge bleiben gewöhnlich am Leben, 
doch kommt auch der Fall vor, daß eines von beiden 
dem Tode preisgegeben wird. So weilß ich von 
einem Eingeborenen, dessen Frau mit Zwillingen 
beschenkt worden war, daß er einen davon in den 
Busch trug und ihn seinem Schicksal überließ. Stirbt 
eine Wöchnerin, so nimmt sich eine andere Frau 
des Säuglings an; doch kommt es auch vor, 
wenigstens habe ich einen Fall erlebt, daß das Kind 
erdrosselt wurde, da, wie man mir erzählte, niemand 
vorhanden gewesen wäre, um das Kind zu ernähren. 
Während der ersten Zeit nach der Entbindung ist 
der Mann verpflichtet, für seine Frau zu sorgen und 
die Speisen zu bereiten. Festlichkeiten oder Aus- 
teilung von Geschenken finden anläßlich einer Geburt 
nicht statt. Doch ist es Sitte, daß Freundinnen und
	        
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