Full text: Deutsches Kolonialblatt. XVIII. Jahrgang, 1907. (18)

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für immer denkwürdig bleiben, daß die Partei, 
die gerade um diese Zeit die stärkste des Reichs- 
tags wurde, daß das Zentrum erst durch den 
französischen Kardinal Lavigerie, der auf dem 
Katholikentage zu Köln im Oktober 1888 nach- 
drücklich auf die ungehenere Wichtigkeit deutscher 
kolonisatorischer Mitarbeit für die Zwecke der 
Mission hinwies, bewogen werden konnte, aus 
der bisherigen ablehnenden Haltung herauszu- 
treten. Aber auch nach diesem Wandel blieb die 
Stellung der Regierung noch eine schwierige, und 
es war erklärlich, daß sie sich darauf beschränkte, 
privaten Unternehmungsgeist nach Kräften zu 
decken, und auch in diesem Bestreben vorsichtig 
alles vermied, was zu größeren Ansprüchen an 
Reichsmittel hätte führen oder in ernste Miß- 
helligkeiten mit dem Auslande hätte verwickeln 
können. 
Als Bismarcks erstem Nachfolger das Wort 
entschlüpfen konnte: „Je weniger Afrika, desto 
besser“, suchte man dann einerseits möglichst rasch 
zu abschließenden Grenzverträgen mit den fremden 
Mächten zu gelangen, anderseits den Reichstag 
durch tunlichst geringe Geldansprüche günstig zu 
stimmen. Im Juni 1890 wurden die Grenzen 
von Ost= und Südwestafrika und die von Togo 
mit England vereinbart. Deutschland erwarb 
Helgoland, überließ aber Uganda an England 
und verzichtete auf wohlbegründete Ansprüche in 
Witu und Somaliland. Das dem deutschen Be- 
sitz vorgelagerte Zanzibar trat unter englisches 
Protektorat. In Südwest entstand der „Caprivi- 
zipfel“. Im November 1893 folgte der Vertrag 
über Kamerun. Deutschland erkannte ausdrück- 
lich Englands Ansprüche auf das gesamte obere 
Nilgebiet an und wurde für die zwischenliegenden 
Lande auf eine Auseinandersetzung mit Frank- 
reich verwiesen. 
Im März 1894 kam es dann zu einem Ab- 
schlusse mit Frankreich. Mit Mühe behauptete 
Deutschland eben noch die Fühlung mit dem 
Sanga, dem westlichsten der großen rechten Kongo- 
zuflüsse. Für den Zugang zum Tsadsee war, 
wie für den von Südwestafrika zum Zambesi, ein 
zweiter Caprivizipfel das Ergebnis der Verhand- 
lungen. Frankreich erlangte eine breite Verbin- 
dung zwischen Wadai und seinem Kongobesitz im 
Rücken der deutschen Kolonie. Es ist richtig, daß 
es seine Ansprüche auf eine ungleich regere Ex- 
peditionstätigkeit stützen konnte; aber ebenso richtig 
ist, daß die allgemeine Lage keinen Anlaß bot 
zu solcher Nachgiebigkeit. 
Damit war von der zweiten Reichskanzler- 
schaft der Rahmen gezogen, in dem Deutschland 
sich in Afrika versuchen sollte; spätere Abmachun- 
gen haben nur noch Spezialfragen erledigt. Kurz 
zuvor hatte Deutschland Spanien die Karolinen 
  
und Marianen abgekauft. Damit sind Deutsch- 
lands Kolonialerwerbungen zum Abschluß gelangt. 
Es ward nicht alles erreicht, was trotz des späten 
Beginnens noch hätte erreicht werden können. 
Schlagend tritt das im Vergleich mit Frankreich 
hervor. Aber Deutschland ist eingeführt über 
See. Mit einem Kolonialbesitz, der das Vier- 
fache des Heimatlandes an Umfang übersteigt, ist 
es in der Lage, seine Berechtigung und Be- 
fähigung als ländererwerbende Kulturmacht be- 
weisen zu können. 
* 
Zur Aufteilung Afrikas hatte sich auch Italien 
gemeldet. Im Mittelalter an der Spitze der 
abendländischen Mittelmeervölker in ihrem Ringen 
mit dem Orient, war es in gleicher Weise wie 
Deutschland durch seine Zersplitterung zur Ohn- 
macht verdammt worden. Nach erlangter Ein- 
heit drängte die Lebenskraft seiner Bevölkerung 
ähnlich wie dort nach außen. Als nächstes Ziel 
bot sich Afrikas Nordküste, um welche die Vor- 
fahren so oft und so heftig gekämpft hatten. 
Aber hier kam Frankreich durch die Besetzung 
von Tunis zuvor. Es besetzte dann 1885 
Massaug. Man versuchte, ein Protektorat über 
Abessinien zu gewinnen. Aber nach anfänglichen, 
allerdings mühsamen und verlustreichen Erfolgen 
entschied die Niederlage von Adua am 1. März 
1896 zu Italiens Ungunsten. Es hat sich mit 
dem heißen Küstenland zufrieden geben müssen. 
Ein glücklicheres Geschick hatten die Belgier, 
die der Klugheit und Entschlossenheit ihres Königs 
den Kongostaat verdanken, das größte geschlossene 
und gleichmäßig kulturfähige Gebiet, das ein 
enropäischer Staat in Afrika besitzt, ohne daß ein 
wesentlicher Aufwand von Staatsmitteln erforder- 
lich geworden wäre. 
1 
Wer diese Hergänge auch nur oberflächlich 
mit denen der großen Entdeckungszeit vergleicht, 
wird die unendlich viel größere Raschheit und 
Klarheit beachten, mit der die Entscheidungen 
fielen. Es war die technische Uberlegenheit der 
Neuzeit, die damit in Wirksamkeit trat. Ende 
der 50er und Anfang der 60er Jahre deckten 
Speke, Burton und Grant die großen Binnen- 
seen in den Quellgebieten des Nils auf und 
gaben dadurch den Anstoß zur Erforschung des 
innersten Afrika. Als das Jahrhundert zu Ende 
ging, gab es auf dem schwarzen Kontinent keinen 
Fuß breit Landes mehr, den jemand hätte in 
Besitz nehmen können, ohne völkerrechtlich fest- 
gelegte Rechte zu verletzen. Was sich in dem 
trotz seiner Zugehörigkeit zur „alten“ Welt neuesten 
Erdteil in vierzig Jahren vollzog, hat in Amerika 
fast vier Jahrhunderte gedauert.
	        
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