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jede Mark Aufwand 4 Mark Einkommen an Ver-
dienst treffen, das durch die Kolonien bedingt ist.
Auf die Gesamtheit der in Deutschland gezahlten
Arbeitslöhne von jährlich über 12½ Milliarden
Mark und bei einem Beitrag von 33½ Prozent
scitens aller Lohnarbeiter in Deutschland zu den
kolonialen Unkosten würden auf jeden Mann mit
1000 Mk. Einkommen 80 Pfg. pro Jahr an Bei-
steuer zu den kolonialen Kosten kommen, das ist der
Lohn für eine bis zwei Stunden Arbeit im Jahr.
Wir zahlen gern im Interesse unserer Wehrkraft
und unserer Machtstellung und für an sich ganz un-
produktive Leistung unser Armee- und Marine-
budget. Dasselbe, und zwar nur die ordentlichen
Ausgaben ohne Neubauten ist 728 Millionen in
1906, also in einem Jahre mehr als uns die Kolo-
nien, die doch werbenden Zwecken dienen, in
22 Jahren bei vier größeren Kriegen gekostet haben.
Aber noch deutlicher wird die Frage illustriert,
wenn Sie die Gesamtauslagen für die Kolonien mit
dem Nationalvermögen in Vergleich bringen. Dieses
Nationalvermögen hat man schon vor 10 Jahren
auf etwa 150 Milliarden Mark angesetzt, die Aus-
gaben für die Kolonien in 22 Jahren sind davon
1½ Prozent. Von jeder Mark deutschen National-
vermögens ist in der ganzen Zeit unseres Besitz-
standes 1½ Pfg. in unsere Kolonien gegangen. Wer
sich diese Zissern vor Augen hält, kann nicht sagen,
daß die Anforderungen, die unser kolonialer Besitz
an uns stellt, solche sind, die die deutsche Nation
nicht gern und freudig leisten könnte.
Wie die angewandten und die theoretischen
Wissenschaften zu einer kolonialen Entwicklung bei-
tragen können, soll an einem praktischen Beispiel
auseinandergesetzt werden, und ich wähle dafür
gerade unser südwestafrikanisches Schutzgebiet,
welches in der letzten Zeit ja im Vordergrund des
Interesses gestanden hat.
Weit und breit war und ist auch wohl zum Teil
noch die Ansicht vorhanden, daß wir eine Sand- und
Steinwüste dort mit Opfern okkupieren, die uns
das Land niemals wiedergeben kann. Wäre dies
nicht, so argumentiert man, so würde nie dieser
lange Küstenstrich der Besetzung durch unsere eng-
lischen Nachbarn entgangen sein. Es ist in der Tat
geologisch ein merkwürdiges Land; von der Küste
einwärts ist zunächst ein 60 bis 100 km breiter
Sanddünenstreifen wasserlos, pfadlos, und er ist es,
der andere Nationen abgeschreckt hat. Sind doch
noch in den letzten Jahren in diesen Dünen cine
Anzahl von Europäern verdurstet und verhungert,
weil ihre Pfade verweht waren. Zwei Eisenbahnen
überwinden diesen sonst tagelang aufhaltenden und
große Ausrüstung notwendig machenden Streifen
jetzt in ein paar Stunden in täglichen Zügen. Das
Land selbst, nur gering mit Baumwuchs bestanden,
ist nur etwa zu drei Vierteln gründlich bekannt;
denn jenes letzte Viertel, das Land der Lvambos,
ist zur Zeit gesperrt, weil man sich klar ist, daß man
mit der bisherigen Methode des Eindringens nur
Schwierigkeiten haben wird. Denn die Waffen, die
jene Leute besitzen, sind dieselben, wie sie unsere
Soldaten besitzen, und wir müssen andere Mittel
anwenden, um die Superiorität des Deutschen zu
zeigen, diese Mittel habe ich oben angeführt. Der
Rest ist größtenteils ein Weideland. Es ist jetzt
ziemlich verödel, aber nicht, wie man annimmt, im
wesentlichen als eine Folge der deutschen O kkupation
und der daran sich knüpfenden Kriege, sondern eine
Jolge der jahrzehntelangen Fehden zwischen den
dort wohnenden Hottentotten und Bantustämmen,
in denen der räuberische und kraftvolle Hottentotte
den schwächeren und durch seinen großen Viehbesitz
unbeweglicheren Herero bedrängt hatte, und eine
Faolge jener aus dem Innern von Afrika einge-
schleppten Rinderpest, der ungeheuere Viehmassen
zum Opser gefallen sind. In manchen Orten, wo
man eine Zählung veranstaltet hat, sind bis 98 Pro-
zent der Tiere gefallen. Unsere historische Lenntnis
lehrt uns aber, daß unser Schutzgebien vor nicht
langer Zeit bis zu zwei Millionen Stück Rindvieh
in einem Werte von etwa 200 Millionen Mark be-
herbergt hat, einem Wert, den jedes vierte oder
fünfte Jahr in voller Höhe wieder reproduziert.
Dabei sind während dieser Jahre selbst für den
weißen Ansiedler die Produktionskosten eines Stück
Rindvieh 25 bis 27 Mk., während der Verkaufs-
preis heute 300 Mk. ist, der in normalen Zeiten
wohl auf 120 bis 100 Mk. zurückgehen dürfte.
Die vergleichende Geologie und Botanik aber
lehrt uns, daß Boden und Futterkräuter die gleichen
sind sowohl im Norden wie im Süden, wie sie in dem
Betschuana-Land bzw. der Karoo der benachbarten
Kapkolonie existieren, und die Statistik zeigt uns,
daß auf ähnlich großen Territorien ähnlicher Ge-
staltung in diesen Ländern etwa 2 800 000 Stück
Rindvieh und zwischen 10 und 11 Millionen Woll-
schafe und Angoraziegen existieren. Der Ackerbau-
lechniker hat die QOualität dieser Flora festgestellt, er
hat aber mehr getan. Fortwährend werden neue
Gewächse entdeckt in der ganzen Welt und erfolg-
reiche Versuche für ihre Anpflanzung in Südwest-
afrika gemacht, um diesen anscheinend so unertrags-
sähigen Boden mit hochwertige Produkte liefernden
Pflanzen zu besetzen. Manches ist noch im Anfang,
vieles vielleicht aussichtslos, aber viele schöne Re-
sultate sind bereits erzielt.
Einc vor mehreren Jahren verloren gegangene
Kiste getrockneter Datteln, die auf den Weg gefallen
war, zeigt dem erstaunten Wanderer jetzt 3 m hohe
Dattelbäume, die schon anfangen, Früchte zu tragen-
Es werden Versuche gemacht mit einem mext-
kanischen Gummistrauch, der Guayoule, deren Er-
folg noch dahinsteht, die aber dort in einem Klima,