Full text: Deutsches Kolonialblatt. XVIII. Jahrgang, 1907. (18)

W 1201 20 
gegengewirkt werden kann. Denn einen Zwang 
auf sie auszuüben, ist bei einer nahezu 1000 km 
langen Grenze und den verhältnismäßig nur 
kleinen Machtmitteln, die wir aus verständlichen 
Gründen in der Kolonie halten, ganz unmöglich. 
Die englische Verwaltung hat uns den 
liebenswürdigsten Empfang bereitet und uns 
einen Einblick in viele Verhältnisse gegeben, die 
vorbildlich für unser eigenes Schutzgebiet sein 
können. Von Nairobi an steigt die Bahn 
bald stark an. Auch hier ist die Bevölkerung 
nicht dicht, und es kommt wenig genug Verkehr 
heraus. Schon nach wenigen Stunden beginnt 
ein dichter, wunderbarer, tropischer Urwald. Einen 
solchen Urwald müssen Sie sich nun nicht etwa 
vorstellen ähnlich wie einen deutschen Forst oder 
selbst wie die amerikanischen Bergwälder. Dichtes 
Unterholz, unzählige Lianen, Felsen und Schluchten 
machen ihn nahezu unpassierbar. Auch besteht er 
nicht aus einer oder mehreren Baumarten in 
geschlossenen Beständen, sondern Laub= und Nadel- 
holz steht durcheinander, wertvolles und wertloses, 
Seite bei Seite. Der Einblick in die Fels- 
schluchten, den man von den vielen Brücken ge- 
nießt, ist sehr grotesk. Die abgestorbenen Baum- 
riesen, die teils ihre kahlen Arme in die Luft 
strecken, teils am Boden schwere Hindernisse 
bilden, haben die wunderbarsten Formen. So 
wertvoll manche der Hölzer sein werden, so 
chwer ist es, sie zu gewinnen, weil von einem 
forstmäßigen Abtrieb und Umtrieb nach dem Ge- 
schilderten nicht die Rede sein kann. Deswegen 
ind auch die Rechnungen, die über den unge- 
heuren Wert dieser Hölzer gemacht werden, mehr 
oder weniger irreleitend, weil vermutlich die 
Gewinnungs= und Trausportkosten gleichfalls 
ganz außerordentliche sein werden. 
Ein Anblick von überwältigender Schönheit 
eröffnet sich, wenn die Bahn den großen zentral- 
afrikanischen Graben erreicht, einen steilen Absturz. 
von etwa 6000 Fuß mit der wunderbarsten 
Natur, der schönsten Fernsicht und den glühendsten 
Farben. Hier ist nun die Bahn ein Ingenieur- 
kunststück allerersten Ranges und hat selbstver- 
ständlich, besonders da sie nahezu zweimal ganz 
umgebaut werden mußte, große Summen ver- 
schlungen. Hinter dem Graben bei Mau erreicht 
die Bahn die Höhe von 8000 Fuß. Es wird 
dort in der Nacht bitter kalt, und hier sind auch 
einige Großfarmbetriebe mit Viehzucht, die an- 
scheinend viel versprechen. Dann kommt ein 
schneller Abstieg in einen ebenen Streifen, der 
den Viktoriasee umsäumt, und hier liegt der End- 
punkt der Bahn: Port Florence auf englisch, 
Kisumu in der Sprache des Landes. Es liegt 
an einer Bucht und macht einen sehr nüchternen 
und geschäftsmäßigen Eindruck. Denn im Kampfe 
  
  
mit den Seuchen, der Schlafkrankheit und der 
Malaria hat man nahezu jeden Busch und 
Strauch, die Herbergen der Fliegen und ihrer 
Brut, in der Umgegend der Stadt niedergelegt, 
und die Sorge geht soweit, daß den einzelnen 
Europäern, meistens Beamten, selbst die Hecken 
um ihre Gärten abrasiert wurden. So ist denn 
Kisumn ein großer Bahnhof, auf der Höhe um- 
säumt von Beamtenhäusern und Wohnungen, mit 
einer großen indischen Bazarstraße und einem Ein- 
geborenenmarkt, der zu den merkwürdigsten An- 
blicken gehört, die man überhaupt haben kann. 
Dorthin nämlich kommen tagtäglich die Umwohner 
des Kabirondo-Stammes. Menschen von wunder- 
barem Körperbau und nicht unsympathischen Ge- 
sichtstügen, die eine unüberwindliche Abneigung 
gegen jede Art von Kleidung haben, welche über 
einige messingene Armringe oder einige Perlen- 
schnüre um den Hals hinausgeht. Ein europäischer 
Bildhauer würde in den wunderbaren Gestalten, 
die sich mit vollkommener Freiheit und Anmut 
bewegen, und deren herrliche Muskulatur noch 
durch das Farbenspiel einer sammetweichen, nahezu 
schwarzen Haut gehoben wird, ein unermeßliches 
Studienmaterial finden. Auf diesem Eingeborenen- 
markt habe ich Franen sitzen sehen, die in ihrer 
ungezwungenen Pose den Vergleich mit Michel 
Angelos Frauengestalten an den Gräbern der 
Medicäer zu St. Lorenzo nicht zu scheuen hätten. 
Das Volk ist gutmütig, nicht sehr intelligent. Es 
ist verhältnismäßig wahrheitsliebend und sehr 
sittenrein. 
In den See hinaus streckt sich ein Pier, an 
dessen Seite jetzt ein zweiter errichtet wird, und 
eine Werftanlage, die bei aller Einfachheit groß- 
artige Leistungen vollbringt. Deun nicht weniger 
als vier große eiserne Schiffe vermitteln den Ver- 
kehr auf dem Nyansa, drei Passagier= und Fracht- 
dampfer und einer, der allein zur Frachtbeförde- 
rung bestimmt ist. Diese Schiffe sind Stück für 
Stück in ihren einzelnen Teiken von England per 
Dampfer nach Mombassa und von dort über die 
Bahn gebracht und werden in Kisumu lediglich 
zusammengesetzt. Sie werden hier verstehen, was 
das heißt, wenn ich Ihnen sage, daß der große 
Frachtdampfer 1500 Brutto-Registertonnen hat. 
Die Einrichtung der Passagierdampfer ist die ele- 
ganteste; man kommt sich in dem Zentrum von 
Afrika unter dem Aquator, 1000 km von der 
Küste, wie in einem erstklassigen europäischen Hotel 
vor. Englische Reinlichkeit, europäischer Komfort 
und nur der Mangel an Eis, die tiefbraunen 
goanesischen Stewards und die in weiße lange 
Hemden gekleideten Kabirondojungen, die die Be- 
dienung der Gäste besorgen, erinnern daran, daß 
man im Mittelpunkt des schwarzen Kontinents ist. 
Die Goanesen sind portugiesische Mischlinge aus
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.