Full text: Deutsches Kolonialblatt. XVIII. Jahrgang, 1907. (18)

Kolonien, 
W 106 2e 
Die koloniale Rufklärungsarbeit. 
I. über koloniale Erziehung. 
Vortrag Seiner Exzellenz des Herrn stellvertretenden 
Kolonialdirektors Wirklichen Geheimen Rats Dern- 
burg, gehalten in München am 21. Januar 1907. 
Es ist mir eine besondere Freude und ein 
besonderer Vorzug, in dieser schönen Stadt vor 
einer so zahlreichen Versammlung zu sprechen 
über die Frage, die mit mir Sie bewegt und 
einen großen Teil unserer deutschen Nation. Und 
ich fühle mich um so wohler in diesem Münchener 
Kreise, weil ich aus meiner früheren Erfahrung 
weiß, daß sich hier lebensfreudige und aktions- 
bedürftige Menschen zusammenfinden, die das 
Leben nicht theoretisch und grau in grau auf- 
öufassen geneigt sind, die nach einer Bereicherung 
ihres Wissens und ihrer Empfindungen, ihrer 
Aufgaben und ihrer Bestrebungen von Zeit zu 
Zeit durstig sind, und die sich auch über eine 
schwere Stunde mit einem heiligen Lachen hinweg- 
helfen. So aber sehen diejenigen aus, die in 
der Lage sind, eine große nationale Aufgabe mit 
Erfolg zu behandeln. 
Es ist mir aber auch eine Freude, zu sprechen 
in einer Versammlung, welche geladen ist von 
einem Komitee, zusammengesetzt aus den hervor- 
ragendsten Namen des bayerischen Landes, aus 
denjenigen, denen alle gern folgen werden, die 
die Gewähr dafür geben, daß die große vor- 
liegende Frage auch mit Ernst, mit Hingebung 
und mit Urteil behandelt werden kann. Und um 
eine ernste Frage handelt es sich heute. 
Meine Herren, wir beginnen jetzt damit, 
womit wir vor zweinndzwanzig Jahren 
hätten beginnen müssen, als wir zuerst 
Kolonien erwarben, nämlich, uns intensiv mit den 
Fragen nationalökonomischer und kultureller Natur 
zu beschäftigen, die diese nationalen Dinge in sich 
schließen. 
Wir haben seit zweinndzwanzig Jahren 
aber wir haben bisher keine 
koloniale Politik gehabt. 
Wir haben wohl fleißig gearbeitet und manches 
erreicht, aber wir haben darin gefehlt, daß wir 
die Zielpunkte nicht klar geung und nicht weit 
genug gesteckt haben, und daraus sind denn 
größtenteils die Fehler und die Irrtümer ent- 
standen, von denen unsere deutsche koloniale 
Politik ebensowenig frei geblieben ist, wie das 
koloniale Wesen anderer Nationen. Was wir 
also brauchen, ist eine koloniale Politik. Jede 
Regierung aber, die eine Politik hat, muß wünschen 
und muß es erreichen, daß dieses ihre Ziele ent- 
haltende Programm jedermann im Volke ver- 
  
die 
eine Politik 
ständlich sei. Denn es ist doch die Nation, 
die Kraft und die Mittel hergibt, 
durchzuführen, und deswegen müssen wir jetzt 
dasjenige nachholen, was wir bisher versäumt 
haben, und müssen eintreten in jenes Stadium, 
welches die in politischen Dingen erfahrenen Eng- 
länder und Amerikaner mit einem Fachausdruck 
»a campaign of education einen „Kreuz- 
zug der Erziehung“, genaunt haben. Wir 
alle, die Nation in ihrer ganzen Breite muß sich 
darüber klar werden, was wir denn besitzen, was 
wir darauf erreichen können, welche Mittel wir 
anzuwenden haben, und ob wir dieser Aufgabe 
auch gewachsen sind. Seitdem ich mich mit 
kolonialen Dingen beschäftige, habe ich mir oft 
die Frage vorgelegt, wie kommt es denn, 
daß man in Deutschland gar so wenig von 
seinen Kolonien weiß, daß nur die Mären 
von Krieg und Greueln sich verbreiten, daß man 
nur von Opfern und Zuschüssen hört, und daß 
eine allgemeine Hoffnungslosigkeit die Menschen 
ergriffen zu haben scheint. Wie kommt es, daß 
man nicht weiß, wie unser kolonialer Besitz zu- 
stande gekommen ist, was er für natürliche Hilfs- 
quellen birgt, was wir schon getan, ihn zu er- 
schließen, was er uns schon bietet Und die 
Antwort auf diese Frage ist mir mit wachsender 
Deutlichkeit dahin gekommen, „es hat es ja 
noch niemand ernsthaft versucht, alle diese 
Dinge ins klare zu stellen,“ und als ich 
mich weiter gefragt habe, wer muß denn das 
tun, wer muß denn diesen Versuch machen, so 
habe ich mir später die Antwort gegeben: „Das 
muß die Regierung tun, die für ihre Politik 
Verständnis sucht und ohne solches Verständnis 
ihre Politik nicht durchführen kann.“ Und weil 
ich zur Zeit mit der Vertretung dieser Aufgaben 
der deutschen nationalen Regierung betraut bin, 
stehe ich vor Ihnen, und ich hoffe, daß dieser 
Abend Sie anregen wird, sich mit diesen Fragen, 
die zu den interessantesten und reichhaltigsten, zu 
den feuilletonistisch ansgiebigsten und zu den 
wissenschaftlich anregendsten gehören, die die Welt- 
geschichte gehabt hat, gern zu beschäftigen, und 
daß von diesem Saale aus eine Werbekraft aus- 
gehen wird für unsere nationale Kolonialpolitik, 
die ihr täglich mehr und mehr Jünger zuführen 
wird, bis es in dem ganzen bayerischen Lande 
nicht einen Menschen mehr geben wird, der das 
nicht weiß, was er als guter Deutscher und ge- 
bildeter Mensch wissen muß: warum koloni- 
sieren wir, was sind unsere Kolonien, 
welche Vorbedingungen sind für den Erfolg
	        
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