Full text: Deutsches Kolonialblatt. XVIII. Jahrgang, 1907. (18)

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praktischer Tätigkeit leider nicht viel Zeit ließen. 
Hier soll nur vom „Kalid“ als Arzt die Rede 
sein. Die Zahl der Kalids beiderlei Geschlechts 
ist sehr groß; es gibt unter ihnen mehr oder 
weniger berühmte Leute. Meist an einem land- 
schaftlich ausgesucht schönen Platze, auf steiler 
Bergeshöhe, oder auf einer Klippe am Meere, 
auch auf einer lieblichen Wiese am Bache steht 
das Kalidhaus, in dem der Zauberer aber nicht 
wohnt, sondern nur Konsultationen erteilt. Das 
Kalidhans unterscheidet sich schon äußerlich von 
den anderen öffentlichen oder privaten Gebäuden 
Es ist in der Regel zweistöckig, außen mi 
wunderbaren Linien und Verzierungen bemalt, 
die auf die Phantasic des Besuchers berechnet 
sind und ihn in die richtige Stimmung, in den 
geheimmisvollen Schauer vor dem Übernatürlichen 
dersetzen sollen. Im unteren Stockwerk warten 
155 sets in großer Zahl mitkommenden Ange- 
Pb Zen, während der Rat Heischende sich in das 
obere Stockwerk begibt, das durch Zwischenwände 
im mehrere zZellen geteilt ist. In einer dieser 
Zellen, in einem kastenartigen Gehäuse, sitzt der 
Kalid. Nachdem er sich durch fortwährendes 
Kauen großer Mengen von Betelnüssen in einen 
rauschartigen Zustand versetzt hat, gibt er mit 
kremdartig klingender Stimme seine Anweisungen; 
diese lauten meist dahin, daß der „Kalid“, der 
Geist, ein Schwein oder sonst eine größere Menge 
Lebensmittel wünscht. Oft tut er es nicht billig, 
sondern verlangt bedeutende Summen in Palau= 
geld, Summen, die nach unserem Werte zwischen 
10 und 500 Mark variieren. Eine auch für 
senotische Arzte annehmbare Taxe! Die ge- 
rderte Summe wird anstandslos bezahlt. Nun 
verkündet der Kalid, daß der 
werd 2 Kranke gesund 
berden würde. Stirbt er trotzdem, so ist eben 
ein noch mächtigerer und wahrscheinlich von 
Leuten, die aus irgendwelchen Gründen ein 
Interesse an dem Tode des Betreffenden hatten, 
noch besser bezahlter Kalid an der Arbeit gewesen. 
Hier möchte ich gleich erwähnen, daß „Kalid“ 
sowohl der Ausdruck für die Geister, als auch 
für den Zauberer ist, der den Verkehr mit den 
ersteren vermittelt. Der Kalid als Arzt führt 
en Beinamen „Mangelil“. 
Die Laufbahn der Kalids datiert meist von 
einem ganz bestimmten Zeitpunkte ab. Sie 
werden gewissermaßen „erweckt". Bei einigen 
beginnt die Praxis mit einem wirklichen oder 
singierten Deliriumsanfall. Diese mir von Ein- 
geborenen gemachte Angabe stimmt mit Semper 
überein, dem ein alter Häuptling auf Kaiangel 
erzählte, daß die Kalids Menschen seien, welche 
ihren gewöhnlichen Verstand verloren und ein wenig 
von dem der wirklichen Kalids bekommen hätten. 
Das war auch bei dem Kalid Ardial von 
  
Angkaklau der Fall, mit dem ich persönlich in 
Berührung kam. Er ist ein brachycephaler Mann 
mit auffallend vornehm geschnittenem, sehr intelli- 
gentem, aber verschlagenem Gesicht. In Natpang 
hauste während meiner Anwesenheit auf Palan 
eine Kalidfrau; sie erteilte ihre Weisungen nur, 
wenn sie in einen somnambulen Zustand ver- 
fallen war. Leider ist es mir nicht möglich ge- 
wesen, diese interessante Frau zu besuchen, da 
eine Reise von Mologejok nach Natpang sehr 
beschwerlich und zeitraubend gewesen wäre; doch 
hoffe ich, bei meinem nächsten Aufenthalt diesen 
Besuch nachzuholen. 
Ganz im Gegensatze zu denen von Jap be- 
fassen sich die „Mangelils“ in Palau nicht mit 
der Ab= oder auch nur mit der Angabe von 
Medikamenten an die Kranken. Sie erteilen 
lediglich Rat, üben gewissermaßen nur konsultative 
Praxis aus. In dem Falle einer kranken Rupak- 
frau in Koros, wo es sich wahrscheinlich um ein 
Uterusleiden mit wiederkehrenden Blutungen 
handelte, bat die Frau ihren Mann, mich aufzu- 
suchen. Dieser aber, ein enragierter Kaliddiener, 
fuhr sie an: Der Kalid, der dich krank gemacht 
hat, wird dich auch wieder gesund machen. So 
wurden alle möglichen Kalids konsultiert, Feste 
und Tänze veranstaltet, um die Geister zu ver- 
söhnen. Doch der Zustand der Frau verschlechterte 
sich immer mehr. Eine Kalidfrau gab schließlich 
folgende Erklärung des Krankheitszustandes ab: 
Rings um das Haus der Frau schlichen zahlreiche 
Geister, die ihren Körper zerrissen und so die 
Blutung erzeugten. Diese Geister mußten natürlich 
verscheucht werden durch zahlreiche Sühnopfer, die 
wohl alle ihren Weg in die Schatz= und Speise- 
kammer der schlauen Kalidfrau gefunden haben. 
Die Zahl der Arzneikräunter und Früchte ist 
sehr groß, ihre Kenntnis wie ihre Anwendung 
sehr verbreitet. Hier will ich nur erwähnen, 
daß als Adstringens bei blutenden Wunden der 
Saft der Limonen verwandt wird und daß auf 
die Wunde selbst gestampfte Limonenblätter gelegt 
werden. In großem Umfange wurden früher 
von den Mädchen Abtreibemittel eingenommen, 
als die noch herrschende „Mongol“-Sitte (s. u.) 
eine möglichst lange Erhaltung jugendlicher Reize 
erheischte. 
Interessant ist die Anwendung von Knebel- 
tourniquets bei schmerzhaften Kopf= und Bauch- 
leiden; ich sah sie oft so fest gedreht, daß es mir 
unfaßbar schien, wie die Leute den Druckschmerz 
aushalten konnten. Bei Entzündungen der ver- 
schiedensten Art wird ein Haarseil angewendet, 
man bohrt dabei Kokosbindfaden von Streichholz-= 
dicke in eine Stichwunde hinein, um eine ab- 
leitende Eiterung zu erzeugen. Der gleiche Brauch 
herrscht übrigens auch in Jap.
	        
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