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praktischer Tätigkeit leider nicht viel Zeit ließen.
Hier soll nur vom „Kalid“ als Arzt die Rede
sein. Die Zahl der Kalids beiderlei Geschlechts
ist sehr groß; es gibt unter ihnen mehr oder
weniger berühmte Leute. Meist an einem land-
schaftlich ausgesucht schönen Platze, auf steiler
Bergeshöhe, oder auf einer Klippe am Meere,
auch auf einer lieblichen Wiese am Bache steht
das Kalidhaus, in dem der Zauberer aber nicht
wohnt, sondern nur Konsultationen erteilt. Das
Kalidhans unterscheidet sich schon äußerlich von
den anderen öffentlichen oder privaten Gebäuden
Es ist in der Regel zweistöckig, außen mi
wunderbaren Linien und Verzierungen bemalt,
die auf die Phantasic des Besuchers berechnet
sind und ihn in die richtige Stimmung, in den
geheimmisvollen Schauer vor dem Übernatürlichen
dersetzen sollen. Im unteren Stockwerk warten
155 sets in großer Zahl mitkommenden Ange-
Pb Zen, während der Rat Heischende sich in das
obere Stockwerk begibt, das durch Zwischenwände
im mehrere zZellen geteilt ist. In einer dieser
Zellen, in einem kastenartigen Gehäuse, sitzt der
Kalid. Nachdem er sich durch fortwährendes
Kauen großer Mengen von Betelnüssen in einen
rauschartigen Zustand versetzt hat, gibt er mit
kremdartig klingender Stimme seine Anweisungen;
diese lauten meist dahin, daß der „Kalid“, der
Geist, ein Schwein oder sonst eine größere Menge
Lebensmittel wünscht. Oft tut er es nicht billig,
sondern verlangt bedeutende Summen in Palau=
geld, Summen, die nach unserem Werte zwischen
10 und 500 Mark variieren. Eine auch für
senotische Arzte annehmbare Taxe! Die ge-
rderte Summe wird anstandslos bezahlt. Nun
verkündet der Kalid, daß der
werd 2 Kranke gesund
berden würde. Stirbt er trotzdem, so ist eben
ein noch mächtigerer und wahrscheinlich von
Leuten, die aus irgendwelchen Gründen ein
Interesse an dem Tode des Betreffenden hatten,
noch besser bezahlter Kalid an der Arbeit gewesen.
Hier möchte ich gleich erwähnen, daß „Kalid“
sowohl der Ausdruck für die Geister, als auch
für den Zauberer ist, der den Verkehr mit den
ersteren vermittelt. Der Kalid als Arzt führt
en Beinamen „Mangelil“.
Die Laufbahn der Kalids datiert meist von
einem ganz bestimmten Zeitpunkte ab. Sie
werden gewissermaßen „erweckt". Bei einigen
beginnt die Praxis mit einem wirklichen oder
singierten Deliriumsanfall. Diese mir von Ein-
geborenen gemachte Angabe stimmt mit Semper
überein, dem ein alter Häuptling auf Kaiangel
erzählte, daß die Kalids Menschen seien, welche
ihren gewöhnlichen Verstand verloren und ein wenig
von dem der wirklichen Kalids bekommen hätten.
Das war auch bei dem Kalid Ardial von
Angkaklau der Fall, mit dem ich persönlich in
Berührung kam. Er ist ein brachycephaler Mann
mit auffallend vornehm geschnittenem, sehr intelli-
gentem, aber verschlagenem Gesicht. In Natpang
hauste während meiner Anwesenheit auf Palan
eine Kalidfrau; sie erteilte ihre Weisungen nur,
wenn sie in einen somnambulen Zustand ver-
fallen war. Leider ist es mir nicht möglich ge-
wesen, diese interessante Frau zu besuchen, da
eine Reise von Mologejok nach Natpang sehr
beschwerlich und zeitraubend gewesen wäre; doch
hoffe ich, bei meinem nächsten Aufenthalt diesen
Besuch nachzuholen.
Ganz im Gegensatze zu denen von Jap be-
fassen sich die „Mangelils“ in Palau nicht mit
der Ab= oder auch nur mit der Angabe von
Medikamenten an die Kranken. Sie erteilen
lediglich Rat, üben gewissermaßen nur konsultative
Praxis aus. In dem Falle einer kranken Rupak-
frau in Koros, wo es sich wahrscheinlich um ein
Uterusleiden mit wiederkehrenden Blutungen
handelte, bat die Frau ihren Mann, mich aufzu-
suchen. Dieser aber, ein enragierter Kaliddiener,
fuhr sie an: Der Kalid, der dich krank gemacht
hat, wird dich auch wieder gesund machen. So
wurden alle möglichen Kalids konsultiert, Feste
und Tänze veranstaltet, um die Geister zu ver-
söhnen. Doch der Zustand der Frau verschlechterte
sich immer mehr. Eine Kalidfrau gab schließlich
folgende Erklärung des Krankheitszustandes ab:
Rings um das Haus der Frau schlichen zahlreiche
Geister, die ihren Körper zerrissen und so die
Blutung erzeugten. Diese Geister mußten natürlich
verscheucht werden durch zahlreiche Sühnopfer, die
wohl alle ihren Weg in die Schatz= und Speise-
kammer der schlauen Kalidfrau gefunden haben.
Die Zahl der Arzneikräunter und Früchte ist
sehr groß, ihre Kenntnis wie ihre Anwendung
sehr verbreitet. Hier will ich nur erwähnen,
daß als Adstringens bei blutenden Wunden der
Saft der Limonen verwandt wird und daß auf
die Wunde selbst gestampfte Limonenblätter gelegt
werden. In großem Umfange wurden früher
von den Mädchen Abtreibemittel eingenommen,
als die noch herrschende „Mongol“-Sitte (s. u.)
eine möglichst lange Erhaltung jugendlicher Reize
erheischte.
Interessant ist die Anwendung von Knebel-
tourniquets bei schmerzhaften Kopf= und Bauch-
leiden; ich sah sie oft so fest gedreht, daß es mir
unfaßbar schien, wie die Leute den Druckschmerz
aushalten konnten. Bei Entzündungen der ver-
schiedensten Art wird ein Haarseil angewendet,
man bohrt dabei Kokosbindfaden von Streichholz-=
dicke in eine Stichwunde hinein, um eine ab-
leitende Eiterung zu erzeugen. Der gleiche Brauch
herrscht übrigens auch in Jap.