Full text: Deutsches Kolonialblatt. XVIII. Jahrgang, 1907. (18)

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zahlreiche Menschenknochen und acht Schädel, 
ferner ein fremdes, der Bauart nach von den 
Philippinen stammendes Kanu, das vor Monaten 
hier angetrieben sein soll. 
Am nächsten Tage, dem 21. November, be- 
fanden wir uns vor Pulo-Merir, wohin uns 
mehr die starke Strömung als die Segel und 
die Maschine getragen hatten. Das gleiche Bild 
schrecklicher Verwüstung! Hier muß das Meer 
die ganze Insel mit Ausnahme einiger höher 
gelegenen Punkte überflutet haben; noch jetzt ist 
mitten im Lande eine Salzwasserlagune zurück- 
geblieben. Merir muß nach meiner Schätzung 
doppelt so groß wie Pulo-Anna sein. Wir fanden 
dort 20 Frauen und 7 Männer, die wir alsbald 
an Bord nahmen. Zwischen den schlechten, un- 
reinlichen Hütten befand sich ein größeres Ge- 
bäude in besserem Zustande, mit gutem Dach auf 
stattlichen Calophyllumpfeilern. Am Mittelpfeiler 
war ein eigentümliches Gerät angebracht. Auf 
dem Boden unter dem Gerät lagen einige Korallen= 
steine. Das Gebände war das Versammlungs- 
haus, die erwähnte Vorrichtung diente Kultus- 
zwecken, die Steine sollen vom Himmel gefallen 
sein. Von unseren neuen Mitreisenden erfuhr ich 
dann folgendes: Jener Taifun begann bei Sonnen- 
untergang mit Nordsturm, der über Osten sich 
nach Süden drehte. Das Meer überschwemmte 
die Insel von Osten her, erreichte aber nicht das 
Dorf, weil es etwa 10 m über dem Meeres- 
spiegel liegt. Vor dem Ereignis sollen etwa 
200 Menschen hier gewohnt haben. Im Taifun 
kam niemand um, aber nachher entstand Hungers- 
not. Viele Leute starben; einige, die sich an 
fremden Nahrungsmitteln vergriffen, wurden ge- 
tötet, auch soll durch den reichlichen Genuß von 
Landkrebsen eine Seuche aufgetreten sein und 
viele, besonders Kinder, hingerafft haben. Sechs 
Monate nach dem Sturm verließen neue Boote 
mit insgesamt 50 Menschen Merir und segelten 
nach Sonsol. Es kamen dort nur fünf Boote 
mit 34 Insassen an. Ein Zauberer hat im Zorn 
den Sturm verursacht. 
Auch die Leute aus Pulo-Anna, die wir in 
Sonsol getroffen, waren erst sechs Monate nach 
dem Taifun dahin abgesegelt; sie wußten also, 
daß noch Menschen auf ihrer Insel waren. Ihr 
Schweigen erklärt sich vielleicht durch die Be- 
fürchtung, die an der erwähnten Tötung von 
Leidensgefährten auf Pulo-Anna und Merir Be- 
teiligten könnten bestraft werden. Ich hielt es 
natürlich in Anbetracht der Umstände, unter denen 
diese Tötungen stattfanden, der furchtbaren Not- 
lage dieser armen Menschen, die ihre Nahrung 
verteidigten, um sich selbst vor dem Hungertode 
zu retten, nicht für angezeigt, strafend vor- 
zugehen. 
  
Unter den Merirleuten befand sich gleichfalls 
nur ein Kind, das noch nicht laufen konnte. Die 
Frauen gestanden mir schließlich auf meine Fragen 
nach ihren kleinen Kindern, daß sie mit dem 
Absud von Pandanuswurzeln ihre Leibesfrucht 
abtrieben; so geschehe es in Sonsol, Merir und 
Pulo-Anna. Auch die Tötung bereits geborener 
Kinder soll hier, wie mir die von Yap zurück- 
kehrenden Frauen sagten, vielfach vorkommen. 
So würde sich das auffallende Mißverhältnis 
zwischen Männern und Weibern als gewollt und 
absichtlich herbeigeführt erklären. Ich entgegnete 
den Weibern, daß sie nun samt den Ihrigen mit 
nach Palau, Yap oder Saipan genommen würden, 
wo sie Land und alles zum Leben Nötige hätten; 
aber ich erwartete von ihnen, daß sie jene ver- 
brecherischen Handlungen künftig unterließen. 
Leider stellte später die ärztliche Untersuchung bei 
mehreren Frauen von Sonsol, Pulo-Anna und 
Merir Krankheiten fest, die wohl auch an dem 
Kindermangel schuld sein mochten. 
Nach Merir versuchten wir vergeblich, Tobi 
zu erreichen. Das Petrolenum war zu Ende und 
ein Rest von Gasolin mußte für alle Fälle auf- 
gespart werden. Dazu kam eine Strömung, die 
uns immer weiter von unserem Ziele ab nach 
Osten trieb. Zehn Tage lang versuchte der 
Kapitän dagegen anzukämpfen, bis wir uns 
schließlich zur Umkehr direkt nach Yap genötigt 
sahen. 
Wir begegneten riesigen Schwärmen von Wal- 
sischen und Tümmlern; mehrere Haie und viele 
kleine und größere Fische wurden gefangen. 
Schließlich liefen wir am 10. Dezember, also 
20 Tage nach der Abfahrt von Merir, mit dem 
letzten Rest von Gasolin in den Hafen von 
Tomil ein unter schweren Sorgen um das 
Schicksal der armen Bewohner von Pulo-Anna, 
die vielleicht in der sicheren Erwartung unserer 
Rückkehr ihre letzten Lebensmittel verzehrten, 
und um das Schicksal der Eingeborenen von 
Tobi, die nach dem Verlauf jenes Taifuns ver- 
mutlich ebenfalls von ihm heimgesucht worden 
waren. 
Da traf am 12. Dezember unvermutet der 
Gouvernementsdampfer „Seestern“ mit dem stell- 
vertretenden Gouverneur in Yap ein. Nach 
meiner Schilderung waren er und der Kapitän 
Möller sogleich bereit, die Reise nach dem Süden 
anzutreten. Am 14. Dezember dampften wir mit 
den von Merir mitgebrachten Leuten ab, landeten 
diese am 15. in Palan, wo sie angesiedelt werden 
sollen, liefen am 16. Sonsol und Pulo-Anna an 
und nahmen von jener Insel 59 Leute, von 
dieser alle zurückgebliebenen 43 mit und trafen 
am 17. vor Tobi ein. . 
Auch Tobi ist eine Riffinsel, bestehend aus
	        
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