Full text: Deutsches Kolonialblatt. XIX. Jahrgang, 1908. (19)

W 1252 20 
der Tabakbauern für die herrschenden Zustände 
verantwortlich gemacht. Die Vereinigungen 
leugnen in ihren öffentlichen Erklärungen jede 
unmittelbare oder mittelbare Beteiligung an dem 
gesetzwidrigen Treiben der Nachtreiter. 
Die öffentliche Meinung in Kentucky ist im 
allgemeinen auf der Seite der Tabakbauern und 
Nachtreiter. Einen interessanten Beleg hierfür 
bilden die Verhandlungen, die vor einigen Wochen 
vor dem Schwurgerichte der Grafschaft Lyon 
stattgefunden haben. Es lagen mehrere hundert 
Anklagen gegen Nachtreiter vor. Auch nicht in 
einem einzigen Falle kam es zur Eröffnung der 
Hauptverhandlung. Zwei unter den Angeklagten 
befindliche Beamte, ein Richter und ein Staats- 
anwalt, wurden von den Geschworenen außer 
Verfolgung gesetzt, ohne daß dem öffentlichen 
Ankläger Gelegenheit gegeben wurde, die an- 
geblich in seinem Besitze befindlichen Beweise 
vorzubringen. In der Nacht vor Entlassung der 
Geschworenen wurde der Hof eines der Ge- 
schworenen niedergebrannt. Er war als Gegner 
der Nachtreiter bekannt. 
In welchem Umfange der Beschluß der 
„Equity Society“, einer der erwähnten Schutz- 
gesellschaften, dieses Jahr keinen Tabak anzubauen, 
befolgt worden ist, zeigt eine kürzlich im „United 
States Tobacco Journal“, der Zeitschrift des 
Tabaktrusts, veröffentlichte Schätzung der Ernte 
von Burleytabak in Kentucky und den angrenzenden 
Bezirken der Nachbarstaaten. Danach beträgt die 
Ernte nur etwa 20 Millionen Pfund gegen 
176 Millionen im Vorjahre. 
Das Bedürfnis nach festerem Zusammenschluß 
der verschiedenen Schutzvereinigungen hat vor 
einigen Wochen zu einer aus Abgeordneten der 
Tabakbauern von Kentucky, Tennessee, Ohio, Indiana 
Westvirginia und Wisconsin bestehenden Versamm- 
lung in Bowling Green, Kentucky, geführt. Dort 
wurde unter dem Vorsitz eines Vorstandsbeamten 
der „Society of Equity“ die Gründung einer 
neuen, als Zentralverein gedachten Gesellschaft, 
der „Union Tobacco Society“ beschlossen. Ver- 
  
einszweck soll die „Förderung der Interessen aller 
Tabakbauern in den Vereinigten Staaten“ sein. 
Die Gesellschaft soll ihren Hauptsitz in Louisville, 
Kentucky, erhalten. Sie soll nach dem Rechte 
des Staates Kentucky als Korporation ohne 
Kapital errichtet werden und nicht auf wirtschaft- 
lichen Geschäftsbetrieb gerichtet sein, sich vielmehr 
auf die Verbreitung von Nachrichten und die 
kostenlose Vermittlung von Verkäufen beschränken. 
Mit den übrigen Schutzgesellschaften soll sie Füh- 
lung halten und sie unterstützen, „um angemessene 
und gewinnbringende Preise zu erzielen“. Die Aus- 
gaben sollen anscheinend durch Umlagen gedeckt 
werden. Als Verschuldungsgrenze ist der Betrag 
von 1 Million Dollar festgesetzt. 
Die „American Tobacco Company“, der 
Tabaktrust, beantwortet natürlich die Maßregeln 
der Tabakbauern mit entsprechenden Gegenmaß- 
regeln. Er hat „mit Rücksicht auf die in Kentucky 
herrschende Gesetzlosigkeit“ sein Hauptgeschäft von 
Lexington, Kentucky, nach Cincinnati verlegt und 
eine Erklärung veröffentlicht, wonach seine beiden 
großen Lagerhäuser in Lexington mit einer Auf- 
nahmefähigkeit von zusammen 20 Millionen Pfund 
demnächst aufgegeben werden sollen. Dadurch 
würden Hunderte von Arbeitern in der genannten 
Stadt brotlos werden. Ferner hat der Trust 22 
seiner bisher in den verschiedenen Tabakbezirken 
ständig angestellten Käufer zurückgezogen und be- 
absichtigt angeblich, noch eine Reihe von weiteren 
Agenturen eingehen zu lassen. Die „Society of 
Equity“ erklärt allerdings öffentlich, daß ihr dieses 
Vorgehen nur erwünscht sein könne, da ihr da- 
durch freies Spiel gelassen werde. 
Welche der beiden Parteien aus dem erbitterten 
Kampfe schließlich als Siegerin hervorgehen wird, 
läßt sich nicht voraussagen. Immerhin ist nicht 
zu verkennen, daß die Tabakbauern, wenn auch 
unter erheblichen Opfern, bereits Erfolge errungen 
haben. 
(Ans einem Bericht des Kaiserl. Konsulat in 
Cincinnati vom 15. Oktober 8.) 
  
Vermischtes. 
* Die missionsärztliche Tätigheit 
hat in letzter Zeit einen erfreulichen Aufschwung 
genommen. Das missionsärztliche Institut 
in Tübingen ist in diesem Jahre unter Dach 
gebracht worden. Dieses Institut soll einerseits 
den an der Universität studierenden Medizinern, 
welche Neigung zu missionsärztlicher Tätigkeit 
haben, 
ein Heim und Anschluß an Missionskreise 
geben, anderseits sollen darin Missionare und 
weibliche, für die Mission bestimmte Pflegekräfte 
ihre Ausbildung erfahren. 
Der Berliner Verein für ärztliche Mission 
wurde im Frühjahr dieses Jahres gegründet. Er 
will Mittel zur Ausbildung und Aussendung von 
Missionsärzten und ärztlichem Hilfspersonal haupt- 
sächlich für das Missionsgebiet der Berliner
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.