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Stelle des vielfach (bei rückfälligen Verbrechern
sfast immer) wirkungslosen, Millionen kostenden,
Körper und Geist schwächenden Systems der Ein-
sperrung in jahrelange Zellenhaft in zahlreichen
Fällen ein anderes treten müsse, das durch
straffes Anhalten zu nützlicher Tätigkeit in
freier Luft und durch die Aussicht auf spätere
Verwendung des Gelernten in der Freiheit allen
Büßern einen Ansporn zur Besserung bietet und
in ihre Seelen den Hoffnungsstrahl leuchten läßt
auf ein neues und geachtetes Leben.
Er wendet sich ferner an die, welche die
große Masse unseres Volkes davor schützen wollen,
daß dauernd aus den Gefängnissen heraus, in
denen man trotz aller neueren hygienischen Ein-
richungen die Entwicklung der verderblichsten
Krankheiten, insbesondere der Tuberkulose, nicht
hindern kann, die Infektionskeime durch die ent-
lassenen langjährigen Sträflinge in seine Mitte
getragen werden.
Er wendet sich auch an die, welche den un-
liebssamen Wettbewerb der preisdrückenden
Sträflingsarbeit gemindert sehen möchten, und
endlich an die, welche die nützliche Verwendung
eines Teiles unseres Kolonialbesitzes, der sonst
noch lange seiner Entwicklung harren müßte,
nicht nur billigen, sondern auch im Hinblick auf
das Beispiel Australiens willkommen heißen.
Der Deportations-Verband kennt und würdigt
zwar die Verdienste jener Vereine und Männer,
die sich mit der Fürsorge für die entlassenen
Sträflinge befassen, und es liegt ihm fern, jenen
rrgendwie hindernd in den Weg treten oder ihre
Leistungen bemängeln zu wollen, er glaubt aber,
daß deren Wirken nicht zureichend sein kann, weil
das System und die Prinzipien unseres Straf-
vollzuges wie unsere sozialen Verhältnisse jenem
Wirken vielfach im Wege stehen.
Nach der Uberzeugung der dem Verbande
angehörenden und ihm nahestehenden Sachkenner
haben die Mißstände, die durch das Anwachsen
der rückfälligen Kriminalität eingetreten sind,
so bedenkliche Dimensionen angenommen, daß
wir nicht mehr zögern,dürfen, das einzig mögliche
und heilende Mittel, die Strafverschickung,
anzuwenden und mit diesem dem drohenden
inneren Gegner entgegenzutreten. Deshalb rufen
wir dem deutschen Volke zu:
Baut Schulen, Bahnen, Kanäle und Schiffe
statt weiterhin Strafanstalten, deren Trümmer
emst der Nachwelt einen traurigen Beweis für
die mangelnde Erkenntnis unserer Zeit liefern
würden! Lähmt nicht weiterhin Geist und Körper,
ergie und Arbeitsfähigkeit von gesunden
Venschen durch ein jahrelanges Käfigdasein,
sendern stellt den Verbrecher in den Dienst unserer
kolonialen
Erschließung und zwingt ihn zu nutz-
bringender Tätigkeit, die allein imstande ist, ihn
wieder auf den Weg einer sittlichen Weltanschauung
zu führen!“
Unruhen in Nord-UMigeria.
Bei der unmittelbaren Nachbarschaft Britisch-
Nigerias und Deutsch-Adamauas, des Schau-
platzes der letzten Unruhen in Kamerun, ver-
dienen die Vorgänge in Nigeria unsere besondere
Aufmerksamkeit. Schon früher (Kol. Bl. 1907,
Nr. 18) haben wir einen Aufsatz des Capt. Rud-=
kin aus dem United Service Magazine über
eine Strafexpedition britischer Truppen in Süd-
Nigeria (Juni bis August 1906) abgedruckt. Ein
im Herbst letzten Jahres dem englischen Parlament
vorgelegtes Blaubuch zeigt, daß jene Expedition
im Süden Nigerias nicht vereinzelt dasteht,
sondern daß auch Nord-Nigeria unter Unruhen
der — ebenso wie in Adamaua — stark unter
mohammedanischen Einflüssen stehenden Stämme
zu leiden hatte. Diese Unruhen sind teils rein
lokaler Natur, teils haben sie politische und
religiöse Ursachen.
1 r“
Zunächst ereignete sich in den letzten Tagen
des Jahres 1905 aus geringfügigem Anlaß ein
Zwischenfall in Abinsi am mittleren Benus.
Ein Haussa-Weib und ein Jukum-Mann hatten
Streit, in dessen Verlauf der Jukum das Weib
erschlug. Der Jukum-Häuptling ordnete die Ver-
haftung des Mannes an, um die Sache vor das
Provinzialgericht zu bringen. Die Jukums ver-
weigerten aber ihrem Häuptling den Gehorsam;
die Haussa ihrerseits suchten die Verhaftung zu
erzwingen. So entstand ein förmliches Gefecht.
Die Haussa besetzten die Gebäude der Niger
Company Faktorei, die Jukums stürmten die
Faktorei, unterstützt von den Munshis der um-
liegenden Dörfer.
Schließlich wurden die Haussa überwältigt,
etwa 80 Mann feielen, die übrigen gerieten in
die Sklaverei.
Am 4. Januar 1906 rückte eine Kompagnie
mit einem Geschütz unter Capt. Short von
Lokoja auf Abinsi mit dem Auftrag, die Schiff-
fahrt auf dem Benus bis Ibi freizuhalten und
Abinsi zu besetzen. Capt. Short fand Abinsi
verlassen, beerdigte etwa zwanzig Tote, die er
auf dem Platz der ehemaligen Faktorei vorfand —
zahlreiche Leichen hatte er auf dem Benus
treiben sehen — und sicherte durch Patrounillen
bis Ibi.
Vierzehn Tage darauf erreichte dann Oberst-
leutnant Hasler mit fünfhundert Mann und
zwei Schnellfeuergeschützen Abinsi. Die nachweis-