Full text: Deutsches Kolonialblatt. XIX. Jahrgang, 1908. (19)

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und dauerhafteste anzusehen ist? Es genügt 
nicht, daß wir uns bemühen, die Sprache und 
die verschiedenen Mundarten der Eingeborenen 
zu kennen: das ist offenbar das beste Mittel, 
um die Eingeborenen selber zu studieren und die 
Verbesserungen zu erfahren, die sie nötig haben. 
an muß auch den Gebrauch unserer Sprache 
bei ihnen verbreiten, das ist das Mittel, durch 
das wir am besten die Eingeborenen an das 
Studium unserer wissenschaftlichen und gesell- 
schaftlichen Fortschritte fesseln. 
So werden sie zu verständiger und auf- 
geklärter Mitwirkung in der Leitung der An- 
gelegenheiten ihres Landes vorbereitet sein. 
Wir müssen ihnen eine tatsächliche Beteiligung 
an der Verwaltung ihrer Angelegenheiten zuge- 
stehen: das ist die Grundlage der ins Werk ge- 
setzten Vereinigung, nicht nur auf wirtschaftlichem 
Gebiet, sondern auch, und namentlich, in poli- 
tischer Beziehung. Wir müssen sie auch in die 
Wohltaten der Staatswirtschaft einführen, indem 
wir in ihnen die Pflege der menschlichen Wechsel- 
beziehungen und der sie umgebenden Hilfsein- 
richtungen (Sparkassen, Versicherungskassen, Gegen- 
seitigkeitsgesellschaften) entwickeln. 
Die Verwirklichung dieses Programmes, über 
das man heute einig zu sein scheint, kann nur 
verfolgt werden, wenn man endgültig auf das 
System der Assimilation verzichtet. 
Man muß endgültig darauf verzichten, in 
unseren Kolonien entlegene Departements zu er- 
blicken, wo unsere Einrichtungen, unser Verwaltungs- 
verfahren, unsere Gebräuche in Ehren gehalten 
werden müssen. Sie müssen als Sonder- 
gruppierungen betrachtet werden, die vom Mutter- 
lande nicht nur durch die Bedingungen des 
Klimas und der Gestaltung, sondern auch durch 
die Einrichtungen verschieden sind. Man be- 
schleunige diese Umgestaltung dadurch, daß man 
den Kolonien entschlossen die Pforten der Auto- 
nomie öffnet. 
Der Grundsatz weitester Dezentralisation müßte 
bei der Leitung der kolonialen Angelegenheiten 
maßgebend sein: die Kolonien müßten sich am 
Orte selbst verwalten, sie dürfen nicht von Paris 
aus verwaltet werden. Die heimische Regierung 
würde lediglich vollkommener und unbedingter 
Weise ihren Schutz auszuüben haben; ihre Ver- 
waltungseingriffe hätten sich auf die politische 
Leitung und die Prüfung dieser Sonderverwaltung 
zu beschränken. 
Aber, um dieses System anzuwenden, das 
die neue Kolonialpolitik fordert, ist es unab- 
weislich, daß unsere Kolonialeinrichtungen selbst 
durch eine Reihe tiefgreifender Anderungen re- 
sormiert werden: 
Umgestaltung der Zentralverwaltung in 
  
der Richtung, sie auf ihren wirklichen Zweck 
zurückzuführen; Umgestaltung der politischen und 
Verwaltungseinrichtungen der Kolonien zu dem 
Zwecke, die Mitarbeit der Eingeborenen in 
der Verwaltung der allgemeinen Angelegenheiten 
ihres Landes zu beginnen und auszudehnen; 
Umgestaltung des Geldwesens, in der Absicht, 
die Bewohner unserer neuen Besitzungen, be- 
sonders die Eingeborenen, an der Einrichtung 
der Steuer und an der Verwaltung des Geld- 
wesens ihres Landes unmittelbar teilnehmen zu 
lassen. (Ein Schlußartikel folgt.) 
  
** 1 . 
in Natal.“) 
Der Bericht der Kommission für die Ein- 
geborenen-Angelegenheiten von Natal war im 
Hinblick auf den Eingeborenen-Aufstand, der in 
dieser Kolonie im Jahre 1906 stattgefunden 
hatte, sicherlich ein Dokument von großem In- 
teresse, aber sein Wert wird erhöht durch die 
Tatsache, daß die Kommissare nicht gezögert 
haben, die Grundprobleme der Verwaltung der 
Eingeb Angelegenh durch eine weiße 
Kommune zu erörtern, und daß sie Schlüsse daraus 
gezogen haben, die, wenn sie folgerichtig sind, 
auf viel größere Gebiete als die von Natal oder 
von Südafrika angewendet werden können. Der 
Bericht ist ein sehr umfangreiches Dokument; wir 
wollen hier nur versuchen, einen summarischen 
Bericht zu geben, und diejenigen Teile desselben 
hervorheben, die von großem allgemeinen In- 
teresse sind. 
In ihrer allgemeinen Übersicht über die Re- 
sultate der eingeborenen Verwaltung sind die 
Kommissare viel offenere Pessimisten, als irgend 
eine außenstehende Kritik voraussichtlich bei ihnen 
vermutet hätte. 
Da beim Verschweigen nichts gewonnen wird, 
so muß hier ausgesprochen werden, daß die Kluft 
zwischen den Rassen sich für Jahre hinaus ver- 
breitert hat, und daß die Eingeborenen sich jetzt 
abseits halten und eine mißtrauische Haltung ein- 
nehmen. Beim Mangel an Urteilsschärfe und 
Ülberlegung schreiben sie alle ihre Unannehmlich= 
keiten der Regierung zu, von der sie glauben, 
daß sie entweder alles das, was ihr Leben von 
der Einfachheit der vergangenen Zeiten zu den 
unsicheren Bedingungen der Gegenwart verändert 
hat, veranlaßt oder doch gestattet und gutgeheißen 
habe. Sie sehen die Einwirkung des Gouverne- 
ments in den hohen Pachtzinsen und der Arbeit, 
die von den Grundeigentümern verlangt wird; 
ferner in den verschiedenen Steuern, die sie zu 
6é v —2 
34— 
*) Aus The (olonial Ofsice Journal. Januar 1908 
r. 3.
	        
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