Full text: Deutsches Kolonialblatt. XIX. Jahrgang, 1908. (19)

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AKus fremden Kolonien und Droduktionsgebieten. 
[Oaterialien zur afrikanischen Eingeborenen- und Krbeiterpolitik. 
Die neue Holonlalpolitik Frankreichs) 
II. 
Die Durchführung der Eingeborenenpolitit. 
Das amtliche Versprechen, daß die Assimilations- 
politik endlich aufhören soll, ist von allen denen 
mit Freude begrüßt worden, die an der sittlichen 
und wirtschaftlichen Entwicklung unserer Kolonien 
Anteil nehmen. Es ist Zeit, ein für alle Mal 
und auf allen Anwendungsgebieten mit dieser 
Politik zu brechen. Die Assimilation ist ein po- 
litischer und wirtschaftlicher Irrtum. Als die 
Revolution erklärte, daß die Kolonien fortan einen 
integrierenden Teil Frankreichs bilden sollten, in- 
dem die Eingeborenen förmlich mit den Rechten 
und den Pflichten französischer Bürger ausgestattet 
würden, dachte sie nicht daran, daß sich diese 
„Assimilation“, aus der man ein bürgerliches 
Ideal machte, in Wirklichkeit gegen diejenigen 
wenden würde, die davon Vorteil haben sollten. 
Der Grundsatz, edel in seiner Absicht, wurde 
selbstsüchtig in seiner Anwendung. Die Meere, 
die die Menschen trennen, machen sie unterschiedlich, 
geben ihnen verschiedene geistige Fähigkeiten. Ihre 
Art zu denken, zu leben ist nicht dieselbe. Was 
hier gut ist, ist da unten schlecht, und was in 
einer gewissen Umgebung und unter gewissen Um- 
ständen eine Wahrheit ist, kann anderswo ein 
Irrtum werden. Die Assimilation war einer. 
Entschuldbar für die Männer der Revolution, die 
das Uberseegebiet nur unvollkommen kannten, war 
und ist sie mehr als je unentschuldbar für uns, 
die wir es kennen gelernt haben. 
Durch 
Assimilationspolitik unsere absolute Überlegenheit 
als Grundsatz aufgestellt — in der Verwaltung, 
im Recht, in staatlicher, selbst in religiöser Be- 
ziehung. Außerhalb kein Heil! So haben wir 
bis heute, von einigen glücklichen, aber seltenen 
Ausnahmen abgesehen, die Einrichtung unseres 
Kolonialreiches aufgefaßt. Planmäßig haben wir 
den Grundsatz abgelehnt, daß Länder, die in der 
Rasse ihrer Bewohner und im Klima, die durch 
den Grad der geistigen Fähigkeiten und der Ge- 
sittung durchaus voneinander abweichen, ver- 
schiedene Gesetze und Vorschriften nötig haben. 
)] Aus den Druckschriften der Depuriertenkammer. 
Session 1906, Nr. 311: 
2° Anncxe au Rappor fait nu nom de la Com- 
mission du Budget chan##c d'examiner le projet de loi 
Portant fixation du Budget général de T’exercicc 1907. 
(Alinistre des Colonies.) Pur N. A. (iervais, Dépmé. 
ihren Verallgemeinerungsgeist hat die 
  
Unser Starrsinn hat uns verhindert, zu fassen, 
daß es gleich schwierig und gegen die Natur ist, 
ob wir unsere Einrichtungen in die Seele der 
Eingeborenen versenken oder ob wir auf unsern 
Boden die Pflanzenwelt des fremden Landes 
übertragen wollen. Wie es Herr Leygues vor- 
züglich gesagt hat: „Es gibt in der geistigen An- 
lage der verschiedenen Rassen, die die Erde be- 
völkern, Gleichwertigkeiten, aber es gibt kein 
Einerlei. Warum demnach unsere Geistesgewohn- 
heiten, unsern Geschmack, unsere Sitten und unsere 
Gesetze Völkern aufdrängen, für die die Worte 
Familie, Gesellschaft, Eigentum verschiedene Be- 
deutungen haben? Das hieße ein Werk versuchen, 
unnütz, weil es nicht gelingen, und gefährlich, weil 
es gegen uns nur Mißtrauen und Unwillen auf- 
rühren könnte.“ 
Man darf sich in der Tat die Wahrheit nicht 
verbergen. Die Assimilationspolitik hat dem kolo- 
nisierenden Frankreich den größten materiellen und 
sittlichen Nachteil zugefügt. Durch den Geist der 
Umständlichkeit, durch den Hang zur Gleichmacherei 
hat es die Bedürfnisse verkannt, die jeder unserer 
Kolonien eigen sind, indem es ihnen so die Vor- 
teile aller Art entzog, die wir ihnen versprochen 
hatten und die sie berechtigt waren, von uns zu 
erwarten. 
Aus Herrschsucht haben wir — zuweilen roh — 
von heute auf morgen eine Jahrhunderte alte 
Einrichtung umgestürzt, was in dem geschädigten 
Kreise nur Haß und Aufruhr erzeugt hat. In 
der Sucht nach einer ausschließlich unmittelbaren 
Verwaltung haben wir endlich jede unserer Be- 
sitzungen mit einem überaus verwickelten Räder- 
werk versehen, dessen größtes Verdienst zum guten 
Teil eine Belastung des Haushaltes mit neuen 
und drückenden Ausgaben gewesen ist. 
Den Kolonien mit Ausbentewirtschaft muß eine 
Eingeborenenpolitik entsprechen. Da sich die 
meisten unserer Besitzungen in den Tropen befin- 
den, erlauben uns die Schwierigkeiten des Klimas 
und, als unmittelbare Folge, die schwache Aus- 
wanderungsbewegung die Hoffnung auf Besied- 
lungskolonien nicht. Sie sind und müssen Aus- 
beutungskolonien bleiben, das heißt Besitzungen, 
wo der kolonisierende Bestandteil nur einen 
schwachen Teil in der Gesamtzahl der Bevölkerung 
bildet. 
Unsere Lage ist sehr klar: allein vermögen 
wir nichts. Mit dem Eingeborenen können 
wir alles. Er ist bei sich daheim Herr des 
Bodens und seiner Reichtümer. Also als „Teil-
	        
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