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lichen überhaupt nicht mehr auf unsere Anrufe
zu antworten vermochten. Es blieb uns somit
nichts anderes übrig, als sie bis zum nächsten
Morgen ihrem Schicksal zu überlassen.
Völlig durchnäßt, ohne Zelt, die vor Er-
regung und Kälte zitternden Glieder nur in eine
Decke gehüllt und eng aneinander geschmiegt —
so verbrachten wir eine schlaflose Nacht am
Lagerfeuer, um bei Morgengrauen (es war wie
zum Hohne ein prächtiger, sonniger Morgen!)
gleich wieder an die Bergungsarbeit zu gehen.
Ich sage Bergungsarbeit — nicht Rettungs-
arbeit! Denn, was es nach dieser Nacht noch
zu retten gab, war herzzerreißend wenig. Nur
einige wenige der Unglücklichen zeigten noch eine
Spur von Leben; sie konnten gerettet werden.
Die anderen alle — zwanzig an der Zahl, d. h.
nahezu die Hälfte meiner gesamten Ka-
rawane — lagen als Leichen im Schnee,
die Finger tief in den sumpfigen Boden einge-
graben, die Gesichter im Todeskampfe gräßlich
verzerrt. Ein furchtbarer Anblick für uns andere,
die wir zu ihrer Rettung zu spät kamen!
Die Lasten mußten liegen bleiben, darunter
das gesamte photographische Material und meine
wissenschaftlichen Sammlungen. Wer sollte sie
schleppen? Wir selber waren ja halbe Leichen.
Später haben sie dann die Träger geholt. Ich
selbst konnte mich an dieser Arbeit nicht mehr
beteiligen. Ein schweres Fieber hielt mich ans
Bett gefesselt.“
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Dieser bedauerliche Vorfall gibt ein krasses
Beispiel für den Fatalismus und die hierdurch
erzeugte Energielosigkeit des Negers in Situa-
dionen und Gefahren, in denen er den Ausgang
nicht übersieht oder wo ihn nur schnelles Erfassen
der Situation und besonnenes eigenes Handeln
renen können. „Amri yo mungu"“ (Gottes Fü-
gung) ist dann die Parole, die ihn jeder Üüber-
redungskunst und jedem Versuche, ihn aus seiner
Lethargie aufzuwecken, trotzen läßt. „Amri yo
mungu“, es ist göttlicher Wille, daß wir sterben
sollen, also sterben wir. Der Laie könnte dies
für fromme Regung oder Unterwerfung unter
göttlichen Willen halten; dem ist aber durchaus
nicht so. Die angewandte Formel ist lediglich
eine von Jugend auf gehörte und von Urväter-
zeit überkommene Redensart, in die sich der
Stumpffinn des Negers in ähnlichen Fällen wie
dem oben genannten kleidet, wo nur eigene
Initiative helfen kann. Daß dieser Stumpfsinn
durch sachgemäße Behandlung, unter der ich Ge-
rechtigkeit gepaart mit Strenge verstehe, sehr wohl
überwunden werden kann, zeigt das mustergültige
energische Vorgehen der beiden Askari, von denen
ich — das trifft auf die Mehrzahl der Askari
zu, die uns fast ein Jahr begleiteten — manch
schönen Zug von Besonnenheit und mutvollem
Vorgehen in der Gefahr erzählen könnte.
Ich sandte Kirschstein sofort einen Brief über
Mowambi nach Beni, um ihn zu veranlassen,
von dort auf direktem Wege zu uns zu stoßen.
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Doch zurück zu unserer Route.
Eine für Urwaldverhältnisse gut gehaltene
Straße führt von Etappe zu Etappe, wie sie
über die ganze Länge des Weges von Irumu
nach Stanleyville in wechselnden Abständen von
15 bis 29 km angelegt sind. Eine endlose
Menge mehr oder minder zusammengebrochener
Brückengebilde, die die Passage über Flußläufe
und sumpfige Stellen erleichtern sollen, zwingen
den nervös werdenden Reiter, sein Maultier
immer wieder zu verlassen und ebenso oft zu
besteigen, da ein sicheres Passieren für die Tiere
meist nur neben den Brückenstegen möglich ist
oder ein umgestürzter Baumriese den Weg ver-
sperrt.
In allen Etappen wohnen sogen. Arabisés,
von den Leuten Munguana genannt, von Arabern
„trainierte"“, vielfach aus Mangana oder von der
Ostküste stammende Leute, die noch mit Arabern
oder Indern jenseit der Grenze in mehr oder
minder inoffizieller „Beziehung“ stehen, d. h. auf
kaum sichtbaren Pfaden manchen Elfenbeinzahn
und manche Last Kautschuk über die Grenze
gehen heißen, ohne daß es der Regierung bei
der ungeheuren Ausdehnung des Waldes möglich
ist, diesem Schmuggel wirksam zu steuern. Offiziell
liegt ihnen die Proviantausgabe bei durchziehen-
den Karawanen und die Leutegestellung für den
Karawanenverkehr von Irumu zum Kongo und
zurück ob. Infolgedessen find bei allen Etappen
Bananenpflanzungen angelegt, die zur Ernährung
dienen und ständig vergrößert werden. Die all-
abendlich austretenden Elefanten stiften hier
großen Schaden, so daß der Chef der Etappe
gezwungen ist, jede Nacht durch eine Wache die
Dickhäuter mit lautem Geschrei verscheuchen zu
lassen. Der Reichtum an diesen Tieren muß
ganz ungeheuer sein und ist bei einem Territorium
von der vielfachen Größe des Deutschen Reiches
wohl nach Hunderttausenden zu schätzen.
Der Wald steckt auch voll der Pygmäêen,
der diebischen kleinen Mombutti, die den Mun-
guana viel zu schaffen machen und sich mit einer
Dreistigkeit sondergleichen ihrer Reisvorräte be-
mächtigen. Mörderische lberfälle wie früher sind
neuerdings nicht mehr vorgekommen.
In Songola gelang es uns nach längerem
Schauri, ein weiteres Okapi-Fell zu erhalten,
dessen Träger ebenfalls von den Mombutti erlegt
wurde. Die Ausdrücke für diese große Antilope