Full text: Deutsches Kolonialblatt. XIX. Jahrgang, 1908. (19)

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häute der oberen Luftwege und die Nieren, ent- 
lastet sind. Diese ungleichmäßige Arbeitsverteilung 
auf die einzelnen Organe unseres Körpers ist 
aber auch auf unser Zentralnervensystem 
von erheblichem Einfluß; in ihm laufen ja durch 
die Nerven von allen Organen die Fäden zu- 
sammen, welche einen zweckentsprechenden Aus- 
gleich der Tätigkeit der einzelnen Organe zum 
Nutzen des Gesamtorganismus herbeiführen. In 
dem Gehirn müssen wir uns den Sitz des Re- 
gulierungszentrums für die Tätigkeit der einzelnen 
Organe denken, und daß diese Regulierung bei 
der ungleichmäßigen Inanspruchnahme der ein- 
zelnen Organe in den Tropen besonders schwierig 
ist, läßt sich wohl verstehen. So dürfte es zu 
erklären sein, daß von allen Organen in den 
Tropen wohl am häufigsten das Zentralnerven- 
system Not leidet. 
Sie können sich die Wirkung des tropischen 
Klimas auf den Europäer am besten vorstellen, 
wenn Sie beobachten, in welcher Weise einzelne 
gegen die Hitze wenig widerstandsfähige Personen 
schon bei uns in den heißen Sommermonaten 
leiden. Solche Personen verlieren den Appetit, 
sie fühlen sich matt, sind zu ernster Arbeit kaum 
fähig, weil sie rasch ermüden, sie schlafen schlecht, 
werden reizbar, können keinen Lärm vertragen, 
kurz, es sind die ausgesprochenen Zeichen von 
Nervenschwäche. 
Nun muß man bedenken, daß etwa die gleiche 
Temperatur, welche bei uns in den heißesten 
Sommermonaten herrscht, in den Tropen das 
ganze Jahr hindurch besteht. Denn für das 
Tropenklima ist nicht etwa eine erxzessiv hohe 
Temperatur eigentümlich, sondern die Gleich- 
mäßigkeit der warmen Temperatur ohne jeden 
Wechsel in den Jahreszeiten ist das Charakteri- 
stikum des Tropenklimas. 
Wie verhält sich nun der Europäer gegen- 
über der dauernden Einwirkung des warmen 
Tropenklimas? Anfangs pflegt eine Beunruhigung 
des ganzen Organismus einzutreten, besonders 
des Zentralnervensystems. Bei längerer Dauer 
tritt bei wenig widerstandsfähigen Personen eine 
stetige Steigerung der daraus entstehenden Nerven- 
schwäche ein, welche erst mit dem Verlassen des 
Tropenlandes sich wieder bessert. Dies ist aber 
nur eine kleine Minderheit. Es sind solche Per- 
sonen, die schon von Natur ein schwaches, im 
labilen Gleichgewicht befindliches Nervensystem 
haben, sie passen für die Tropen nicht und hätten 
bei eingehender ärztlicher Untersuchung auch her- 
ausgefunden und an der Ausreise verhindert 
werden können. Bei der großen Mehrzahl der 
Europäer tritt in den Tropen mit der Zeit nicht 
eine Verschlechterung des anfangs beunruhigten 
Gesamtorganismus, sondern eine Verbesserung ein. 
  
Unser Körper besitzt ja Reservekräfte, die er 
entfalten kann. Wie ein Muskel bei täglicher 
Übung wächst und stärker wird, so wird auch 
unsere Haut und werden insbesondere die in ihr 
enthaltenen Schweißdrüsen leistungsfähiger durch 
die täglich von ihnen geforderten Anstrengungen. 
Auch Schutzvorrichtungen bilden sich in unserem 
Körper aus. Das Pigment, das sich in unserer 
Haut bei längerer Einwirkung der Sonne ab- 
lagert und durch die Braunfärbung der Haut 
sichtbar wird, müssen wir als einen Schutzwall 
betrachten, der an der Oberfläche unseres Körpers 
sich gebildet hat, um die tieferen und edleren 
Teile vor der allzustarken Wirkung der Sonnen- 
strahlen zu schützen. So bildet sich bei den 
meisten Europäern in den Tropen mit der Zeit 
durch die Entfaltung von Reservekräften und Ent- 
wicklung von Schutzvorrichtungen ein neuer Gleich- 
gewichtszustand aus, und diesen Zustand kann 
man als eine Akklimatisation des Euro- 
päers bezeichnen. Nun können aber auch bei 
dem in den Tropen anscheinend akklimatisierten 
Europäer mit der Zeit Störungen der Gesundheit 
eintreten, welche wir auf eine allmähliche Ein- 
wirkung des Klimas und auf eine Ermüdung der 
allzu stark angespannten Körperorgane zurück- 
führen müssen. Die Akklimarisation ist in diesen 
Fällen keine vollkommene gewesen, sondern nur 
eine zeitweise, relative. Es ist deshalb praktisch 
und zweckmäßig, eine relative und eine absolute 
Akklimatisation zu unterscheiden. 
Unter relativer Akklimatisation ist zu 
verstehen, daß der Europäer bei zweckmäßiger, 
dem Klima angepaßter Lebensweise und unter 
Vermeidung schwerer körperlicher Arbeit eine An- 
zahl von Jahren ohne dauernden Schaden für 
seine Gesundheit in den Tropen zubringen kann, 
dann aber, wenn er nicht dauernd geschädigt 
werden will, zeitweise zur Erholung in seine 
Heimat zurückkehren muß. 
Absolute Akklimatisation bedeutet, daß 
der Europäer in seiner neuen Heimat dauernd 
ein Leben führen kann, das dem seiner alten 
Heimat entspricht und dabei nicht nur selbst gesund 
und leistungsfähig bleibt, sondern auch seine 
körperlichen und geistigen Fähigkeiten auf seine 
Nachkommen so übertragen kann, daß die jungen 
Generationen ebenso vollwertig sind wie die ur- 
sprünglich ausgewanderten. Für kleinbäuerliche 
Ansiedlungen ist absolute Akklimatisation not- 
wendig, für Plantagenwirtschaft genügt auch 
die Möglichkeit einer relativen Akklimatisation. 
Im allgemeinen kann man sagen, daß wir 
Deutschen, wie alle nordischen und germanischen 
Völker, uns schwerer in den Tropen akklima- 
tisieren als die südeuropäischen Völker. Be- 
sonders auffällig ist der Unterschied gegenüber
	        
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