Full text: Deutsches Kolonialblatt. XX. Jahrgang, 1909. (20)

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Weiber-, Kinder= und Viehraub bilden die 
Hauptstreitfragen und sind bei den noch nicht mit 
den Weißen in Berührung gekommenen Stämmen 
an der Tagesordnung. Viehdiebstähle sind am 
häufigsten. Man kann irgend einen Heiden fragen, 
ob ihm schon einmal ein Stück Vieh gestohlen 
worden sei, und man wird stets eine bejahende 
Antwort erhalten. Bei den dem Posten zunächst 
gelegenen Stämmen haben die Diebstähle er- 
freulicherweise schon sehr nachgelassen. Trotzdem 
werden mehrere Tage in der Woche von früh 
bis spät damit verbracht, daß Klagen über der- 
artige Diebstähle angehört und geprüft werden 
müssen. Mehrere Patrouillen sind im Monat 
notwendig, um alle derartigen Angelegenheiten 
zu erledigen. 
Weiber= und Kinder= (Mädchen-) Raub ist 
gleichfalls nicht selten. Eine für uns immerhin 
etwas eigentümliche, dagegen der Auffassung des 
Küstenbuschbewohners sehr verwandte Rechts- 
anschauung möchte ich an dieser Stelle erwähnen: 
Ein Heide kauft ein Weib von dessen Vater für 
zwölf Kühe. Stirbt das Weib, bevor es ein 
Kind zur Welt gebracht hat, dann muß der Vater 
des Weibes die Kühe an den Käufer zurückgeben. 
Wird ein Knabe geboren, dann muß der Vater 
des Weibes die Hälfte des Kaufpreises, also in 
diesem Falle sechs Kühe, an den Käufer zurück- 
erstatten. Erst wenn das Weib ein Mädchen zur 
Welt bringt, ist für den Heiden das Geschäft 
richtig, weil er sich sagt, daß er nun später durch 
den Verkauf seiner Tochter auch wieder zu zwölf 
Kühen kommt. 
Man sieht hieraus, daß ganz ähnlich wie bei 
den Stämmen des Küstenbusches, auch für den 
Heiden das Weib nur eine Handelsware ist. 
Eine große Liebe zu seinem Weibe kennt er nicht. 
Ein anderes Beispiel: Dem Heiden wird das für 
zwölf Kühe gekaufte Weib gestohlen und der Dieb 
verkauft es weiter, so daß es für den Bestohlenen 
nicht wiederzuerlangen ist. Er wendet sich nun- 
mehr an den Dieb und verlangt von ihm nur 
zwölf Kühe, also den Kaufpreis für das Weib. 
Geht der Dieb darauf ein, so ist die Angelegen- 
heit damit erledigt. Weigert er sich jedoch, die 
Kühe zu bezahlen, dann ist der Bestohlene be- 
rechtigt, dem Dieb bei irgend einer passenden Ge- 
legenheit die doppelte Anzahl Kühe zu entwenden. 
Das ist nach Ansicht der Häuptlinge und Großen 
beider Parteien vollkommen in der Ordnung 
und der zuletzt Bestohlene muß sich damit zu- 
frieden geben. 
Der Weiße muß derartigen, bei den Heiden 
seit Generationen tief eingewurzelten Rechts- 
anschauungen zunächst Rechnung tragen. Er 
würde mit einer anderen Anschauung die Leute 
  
direkt vor den Kopf stoßen, jedenfalls aber gar 
nicht von ihnen verstanden werden. 
r—G 
mG 
Nach und nach bekehren sich einzelne Heiden 
der an die Fullah-Lamidate angrenzenden Stämme 
zum Mohammedanismus. Die Bekehrung besteht 
jedoch in den meisten Fällen nur darin, daß der 
Heide sich für eine Menge Kühe ein weites Fullah- 
Gewand und einen Rosenkranz ersteht. Gebet- 
übungen habe ich diese bekehrten Heiden nie 
machen sehen. 
Eine dumpfe Vorstellung von einem über- 
irdischen Wesen ist — ebenso wie wohl bei allen 
Naturvölkern — auch bei diesen Heiden vor- 
handen. Irgendwelchen Götzendienst oder Fetisch 
— wie bei den Völkern Süd-Kameruns — habe 
ich hier nirgendwo feststellen können. 
Die Bana= und Muszug-Heiden erinnern 
äußerlich sehr an die Jaundes oder Banes in 
Süd-Kamerun. Sie sind ebenso wie jene von 
hoher, schlanker, herrlicher Gestalt, mit breiter 
Brust und muskulösen Gliedern. Ihr Charakter 
unterscheidet sich jedoch sehr von dem der Urwald- 
bewohner. Während letztere zum großen Teil 
als hinterlistig und verschlagen, als Heuchler und 
Betrüger bezeichnet werden müssen, kann man 
bei den Heiden von einem offenen und ehrlichen 
Charakter sprechen. Selten versucht der Heide 
vor Gericht zu lügen. Hat er jemand totgeschlagen, 
so bekennt er offen und ehrlich: „Ja, ich habe 
den Mann totgeschlagen, weil er mir ein Huhn 
stehlen wollte." 
Hat der Heide erst gesehen, daß der Weiße 
ihm nur helfen und ihn nicht — wie es 
früher die angrenzenden Fullahs und Bagirmis 
taten — zum Sklaven machen will, dann faßt 
er bald ein festes Vertrauen, und es ist dann 
eine Freude, mit diesen Leuten zu arbeiten. Bei 
diesen Eingeborenen ist ein gutes Wort häufig 
sehr am Platze. 
Während man in Süd-Kamerun die Einge- 
borenen meist nur durch eiserne, wenn auch ge- 
rechte Strenge im Zaume halten kann, erreicht 
man bei diesen Heiden sehr oft viel durch Güte, 
Zureden und Geduld. Ich habe während der 
ganzen Zeit in Bongor keine einzige Prügelstrafe 
bei den Heiden anzuwenden nötig gehabt, wäh- 
rend man doch im Süden des Schutzgebiets kaum 
ohne diese Strafe auskommen kann. Diese Strafe 
ist auch deshalb bei den Bongor-Heiden so wenig 
angebracht, weil die Leute tatsächlich viel Ehr- 
gefühl besitzen und weil sie die Prügelstrafe als 
demütigend und entwürdigend auffassen würden. 
r—G 4 
Über eine mögliche Wasserverbindung 
zwischen dem Atlantischen Ozean und dem
	        
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