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Eingeborenen erst infolge der Berührung mit der
Zivilisation angenommen!) haben, entgegenzuwirken.
Das Eingeborenen-Strafrecht kann also nicht
beibehalten werden. Ebensowenig ist aber die ein-
fache Beziehung der Gültigkeit des kolonialen Straf-
rechts europäischen Ursprungs auf die Eingeborenen
anzuraten. Denn darin würden naturgemäß dem
Eingeborenen eigentümliche, schädliche Sitten und
Gewohnheiten als strafbare Handlungen nicht vor-
zufinden sein, oder es blieben nur nach Ein-
geborenen-Recht strafbare Handlungen, die das
Moralgesühl der Eingeborenen verletzen, straflos.
Anderseits würden aber vielleicht Institutionen des
Eingeborenen-Zivilrechts, wie z. B. die Polygamie,
deren Aufhebung noch nicht zeitgemäß wäre, mit
Strafe belegt werden.
Ein geeignetes Strafrecht für ein Territorium mit
überwiegender Eingeborenen-Bevölkerung kann also
nur durch ein Kompromiß gefunden werden. Ent-
weder die Gesetzgebung der Kolonie hat für diese
Gebiete ein besonderes Strafgesetzbuch zu schaffen,
oder sie hat das Strafrecht der Kolonie entsprechend
zu ergänzen.
Beispiele für diese beiden Möglichkeiten der
Schaffung eines Strafrechts für Eingeborene bietet
die Gesetzgebung der Kapkolonie und die Natals.
Die Kapregierung hat den ersten Weg gewählt
und für den Teil der Kolonie, der hauptsächlich
von Eingeborenen bewohnt ist, und wo diese noch
mehr als anderswo ihre ursprüngliche Lebens-
führung beibehalten haben, einen besonderen Penal
Code gegeben.
Es ist dies der „Natire Territories Penal
Code“.2)
Zur Erläuterung des Umfanges des Eingriffs
der Gesetzgebung durch Schaffung des Penal Code
dürfte sich eine kurze Charakterisierung des von den
Kaffern ausgebildeten Strafrechts, wie es aus dem
Macleanschen Kompendium ersichtlich ist, empfehlen.
Das Geltungsgebiet des Code fällt zum Teil mit
1) z. B. kamen früher widernatürliche Laster bei
den Eingeborenen Südafrikas so gut wie gar nicht
vor, seilddem die Eingeborenen aber als Minenarbeiter
vielfach nach Johannesburg gehen, sollen sie sehr zu-
genommen haben. Vgl. Appendir C zum Report
vol. III S. 622. Auch die Trunksucht hat erst infolge
der Einführung berauschender Getränke europäischer
Art gefährliche Dimensionen angenommen.
Act 24.1886 ursprünglich nur für die Teile der
Kapkolonie gegeben, die östlich des Kei-Flusses gelegen
sind, die sogenannten „Transkeian Territoricos“ (d. h.
Griqualand East, Tembuland einschl. Emigrant Tembn-=
land, Bomvanaland, Gcalekaland und Port und Terri-
tory of St. Johus River) später ausgedehnt auf alle
Native Territories durch Prokl. 112 von 1886 und
durch Prokl. 340/1894 auf Ost= und West-Pondoland.
Agl. § 15 act 4 of 1892 (Statutes of the Cape).
Im übrigen Teile der Kolonie gilt nur das Straf-
recht der Kapkolonie (vgl. Lucas I7N, Teil II, S. 6)
(außer in British Bechuanaland, vgl. Sec. 16, act 41
of 1885).
den Territorien, auf die sich Macleans Aufzeich—
nungen beziehen, zusammen. Obwohl die Kaffern
ein eigentliches Rechtssystem nicht ausgebildet haben,
läßt sich doch nach Maclean (S. 34 f., 57 f.) bei
ihnen eine Unterscheidung feststellen, die an die
Einteilung des Rechtsgebietes in Zivil= und Straf-
recht erinnert.
In der einen Gruppe von Fällen gilt nämlich
stets der Häuptling als der angegriffene Teil, ohne
daß er persönlich direkt verletzt wäre. Jeder
Prozeß dieser Gruppe erfolgt auf seine Veran-
lassung, und die dem Verurteilten im Urteil aufer-
legte Leistung ist an den Häuptling zu entrichten.
In der anderen Gruppe sind nur Untertanen
beteiligt, der Häuptling kommt nur als Richter in
Frage und die im Urteil aufgegebene Leistung fällt
dem Obsiegenden zu. Im letzteren Falle haben die
Parteien die Disposition über den Rechtsstreit, sie
dürfen sich ohne Anrufung des Richters vergleichen:
im ersteren Falle ist die Sache ihrer Verfügung
entzogen. Die erste Gruppe, in der der Häuptling
gleichsam als Träger der Staatsgewalt handelt,
erinnert Maclean an Strafsachen, die zweite an
Zivilsachen.!) Der Häuptling galt stets als der
angegriffene Teil bei politischen Verbrechen, bei
Zauberei und allen Verbrechen gegen die Person
seiner Untertanen; letzteres deshalb, weil Untertanen
als Eigentum der Häuptlinge galten. Alle Fälle
dagegen, die sich auf das Eigentum der Untertanen
bezogen, zu dem in diesem Zusammenhange auch die
Ehefrauen gehörten, bildeten die zweite Gruppe.
Dazu gehörte also auch Diebstahl, Sachbeschädigung
und Ehebruch.
Aus dem Gesagten ist ersichtlich, daß die beiden
Gruppen sich jedenfalls mit unseren Strassachen
und Zivilsachen nicht decken, daß bei einer wichtigen
Reihe von Handlungen, die wir zu den Verbrechen
zählen, dic im Häuptling verkörperte Staatsgewalt
keinen Anteil nahm, und daß die Rechtsverfolgung
in diesen Fällen dem Gutdünken des Verletzten
überlassen war, und ihre Ahndung außergerichtlicher
Beilegung offenstand.
Der Code dagegen ist aufgebaut auf den Prin-
zipien europäischen Strafrechts und spiegelt nach
dem Urteile des Reports (Sec. 4) im wesentlichen
den Geist des überlieferten Strafrechts der Kap-
kolonie wieder, wie es sich unter dem Einflusse der
Statutes entwickelt hat. 2) Er gilt ja auch nicht für
die Eingeborenen allein, sondern für alle Bewohner
seines Geltungsbereiches. Er zeigt dabei aber doch
in einzelnen Bestimmungen, daß sein Gesetzgeber dic
Aufgabe, einen Code für hauptsächlich von Einge-
1) Maclean S. 34, 57, 59.
2) Der Code ist übrigens nicht erschöpfend tron
seines Namens, denn Sec. 269 gibt eine Bestimmung
für Verbrechen. die im Code nicht vorgesehen sind.
indem er anordnet, daß solche Handlungen bestraft
werden sollen, als wenn sie in dem Teile der Nap-
kolonie begangen wären, in dem der Code nicht gilt.