Full text: Deutsches Kolonialblatt. XX. Jahrgang, 1909. (20)

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Eingeborenen erst infolge der Berührung mit der 
Zivilisation angenommen!) haben, entgegenzuwirken. 
Das Eingeborenen-Strafrecht kann also nicht 
beibehalten werden. Ebensowenig ist aber die ein- 
fache Beziehung der Gültigkeit des kolonialen Straf- 
rechts europäischen Ursprungs auf die Eingeborenen 
anzuraten. Denn darin würden naturgemäß dem 
Eingeborenen eigentümliche, schädliche Sitten und 
Gewohnheiten als strafbare Handlungen nicht vor- 
zufinden sein, oder es blieben nur nach Ein- 
geborenen-Recht strafbare Handlungen, die das 
Moralgesühl der Eingeborenen verletzen, straflos. 
Anderseits würden aber vielleicht Institutionen des 
Eingeborenen-Zivilrechts, wie z. B. die Polygamie, 
deren Aufhebung noch nicht zeitgemäß wäre, mit 
Strafe belegt werden. 
Ein geeignetes Strafrecht für ein Territorium mit 
überwiegender Eingeborenen-Bevölkerung kann also 
nur durch ein Kompromiß gefunden werden. Ent- 
weder die Gesetzgebung der Kolonie hat für diese 
Gebiete ein besonderes Strafgesetzbuch zu schaffen, 
oder sie hat das Strafrecht der Kolonie entsprechend 
zu ergänzen. 
Beispiele für diese beiden Möglichkeiten der 
Schaffung eines Strafrechts für Eingeborene bietet 
die Gesetzgebung der Kapkolonie und die Natals. 
Die Kapregierung hat den ersten Weg gewählt 
und für den Teil der Kolonie, der hauptsächlich 
von Eingeborenen bewohnt ist, und wo diese noch 
mehr als anderswo ihre ursprüngliche Lebens- 
führung beibehalten haben, einen besonderen Penal 
Code gegeben. 
Es ist dies der „Natire Territories Penal 
Code“.2) 
Zur Erläuterung des Umfanges des Eingriffs 
der Gesetzgebung durch Schaffung des Penal Code 
dürfte sich eine kurze Charakterisierung des von den 
Kaffern ausgebildeten Strafrechts, wie es aus dem 
Macleanschen Kompendium ersichtlich ist, empfehlen. 
Das Geltungsgebiet des Code fällt zum Teil mit 
1) z. B. kamen früher widernatürliche Laster bei 
den Eingeborenen Südafrikas so gut wie gar nicht 
vor, seilddem die Eingeborenen aber als Minenarbeiter 
vielfach nach Johannesburg gehen, sollen sie sehr zu- 
genommen haben. Vgl. Appendir C zum Report 
vol. III S. 622. Auch die Trunksucht hat erst infolge 
der Einführung berauschender Getränke europäischer 
Art gefährliche Dimensionen angenommen. 
Act 24.1886 ursprünglich nur für die Teile der 
Kapkolonie gegeben, die östlich des Kei-Flusses gelegen 
sind, die sogenannten „Transkeian Territoricos“ (d. h. 
Griqualand East, Tembuland einschl. Emigrant Tembn-= 
land, Bomvanaland, Gcalekaland und Port und Terri- 
tory of St. Johus River) später ausgedehnt auf alle 
Native Territories durch Prokl. 112 von 1886 und 
durch Prokl. 340/1894 auf Ost= und West-Pondoland. 
Agl. § 15 act 4 of 1892 (Statutes of the Cape). 
Im übrigen Teile der Kolonie gilt nur das Straf- 
recht der Kapkolonie (vgl. Lucas I7N, Teil II, S. 6) 
(außer in British Bechuanaland, vgl. Sec. 16, act 41 
of 1885). 
  
den Territorien, auf die sich Macleans Aufzeich— 
nungen beziehen, zusammen. Obwohl die Kaffern 
ein eigentliches Rechtssystem nicht ausgebildet haben, 
läßt sich doch nach Maclean (S. 34 f., 57 f.) bei 
ihnen eine Unterscheidung feststellen, die an die 
Einteilung des Rechtsgebietes in Zivil= und Straf- 
recht erinnert. 
In der einen Gruppe von Fällen gilt nämlich 
stets der Häuptling als der angegriffene Teil, ohne 
daß er persönlich direkt verletzt wäre. Jeder 
Prozeß dieser Gruppe erfolgt auf seine Veran- 
lassung, und die dem Verurteilten im Urteil aufer- 
legte Leistung ist an den Häuptling zu entrichten. 
In der anderen Gruppe sind nur Untertanen 
beteiligt, der Häuptling kommt nur als Richter in 
Frage und die im Urteil aufgegebene Leistung fällt 
dem Obsiegenden zu. Im letzteren Falle haben die 
Parteien die Disposition über den Rechtsstreit, sie 
dürfen sich ohne Anrufung des Richters vergleichen: 
im ersteren Falle ist die Sache ihrer Verfügung 
entzogen. Die erste Gruppe, in der der Häuptling 
gleichsam als Träger der Staatsgewalt handelt, 
erinnert Maclean an Strafsachen, die zweite an 
Zivilsachen.!) Der Häuptling galt stets als der 
angegriffene Teil bei politischen Verbrechen, bei 
Zauberei und allen Verbrechen gegen die Person 
seiner Untertanen; letzteres deshalb, weil Untertanen 
als Eigentum der Häuptlinge galten. Alle Fälle 
dagegen, die sich auf das Eigentum der Untertanen 
bezogen, zu dem in diesem Zusammenhange auch die 
Ehefrauen gehörten, bildeten die zweite Gruppe. 
Dazu gehörte also auch Diebstahl, Sachbeschädigung 
und Ehebruch. 
Aus dem Gesagten ist ersichtlich, daß die beiden 
Gruppen sich jedenfalls mit unseren Strassachen 
und Zivilsachen nicht decken, daß bei einer wichtigen 
Reihe von Handlungen, die wir zu den Verbrechen 
zählen, dic im Häuptling verkörperte Staatsgewalt 
keinen Anteil nahm, und daß die Rechtsverfolgung 
in diesen Fällen dem Gutdünken des Verletzten 
überlassen war, und ihre Ahndung außergerichtlicher 
Beilegung offenstand. 
Der Code dagegen ist aufgebaut auf den Prin- 
zipien europäischen Strafrechts und spiegelt nach 
dem Urteile des Reports (Sec. 4) im wesentlichen 
den Geist des überlieferten Strafrechts der Kap- 
kolonie wieder, wie es sich unter dem Einflusse der 
Statutes entwickelt hat. 2) Er gilt ja auch nicht für 
die Eingeborenen allein, sondern für alle Bewohner 
seines Geltungsbereiches. Er zeigt dabei aber doch 
in einzelnen Bestimmungen, daß sein Gesetzgeber dic 
Aufgabe, einen Code für hauptsächlich von Einge- 
  
1) Maclean S. 34, 57, 59. 
2) Der Code ist übrigens nicht erschöpfend tron 
seines Namens, denn Sec. 269 gibt eine Bestimmung 
für Verbrechen. die im Code nicht vorgesehen sind. 
indem er anordnet, daß solche Handlungen bestraft 
werden sollen, als wenn sie in dem Teile der Nap- 
kolonie begangen wären, in dem der Code nicht gilt.
	        
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