W 236 20
sie oft ohne Aufsicht waren und beim Traben nach-
kommen mußten, sind sie nicht fortgelaufen, son-
dern, selbst nach 24 Stunden, bei der Expedition
wieder eingetroffen. Sie sind jetzt beim Zuge
angestellt, darunter ein Großmann, der mir als
Viehdieb bekannt war. Durch ihn will ich später
versuchen, die noch in den Bergen sitzenden Busch-
leute heranzuziehen, da er genau weiß, daß sie
bei Diebstählen nicht entrinnen können. Ich habe
auch den in den Bergen sitzenden Buschleuten, von
denen mir einige persönlich bekannt sind, sagen
lassen, daß sie dort ruhig sitzen dürften, so lange
sie kein Vieh stehlen. Ich hoffe, daß sie allmählich
Vertrauen bekommen und später dauernd als
Farmarbeiter Verwendung finden können.
70
Deutsch-MNeuguinea.
S. O. S. „Cormoran“ Im Ralserin Kugusta-Fluß.“)
Die Fahrt S. M. S. „Cormoran“ den
Kaiserin Augusta-Fluß aufwärts bedeutet den
ersten Versuch, den wichtigen Zugangsweg in das
unerschlossene, aber zukunftsreiche Innere Neu-
guineas mit einem größeren seegehenden Schiffe
zu befahren. Der Gouverneur von Deutsch-Neu-
guinea, Dr. Hahl, nahm an der Fahrt teil.
Es konnte nur von Nutzen sein, den Einge-
borenen ein Kriegsschiff zu zeigen und weitere
Beziehungen anzubahnen; aber auch die Tatsache,
daß ein größeres seegehendes Schiff ohne Schwie-
rigkeiten weite Strecken des Flusses befahren hat,
mußte als ein für Neuguinea wertvolles Ergebnis
betrachtet werden.
Wegen der heranstehenden Regenzeit mußte
der Monat November als günstigster Zeitpunkt
für die Flußfahrt erachtet werden, und so verließ
S. M. S. „Cormoran“ am 13. November Her-
bertshöhe, nachdem sich der Gouverneur eingeschifft
hatte. In Friedrich Wilhelms-Hafen wurde am
15. der fällige Postdampfer erwartet. Am 17.
November gingen wir von dort in See, um über
Hansahafen, wo sich vor kurzer Zeit die Eingebo-
renen unruhig verhalten hatten, die Flußmündung
anzusteuern.
Die scemännischen Vorbereitungen für
die Flußfahrt bestanden im Klarlegen von Trossen
vorn und achtern und von vier Ankern, achtern
dem Strom= und Heckanker. Die Dampfpinaß war
für die Einsteuerung klar zum sofortigen Gebrauch.
Für das Schiff war eine Geschwindigkeit von
*) Auozug aus einem Bericht in der „Marine-
Rundschau“ 1910, Märzheft. (Vgl. auch „D. Kol. Bl.“
1909, S. 331 ff., 739 ff.)
11 kn, die mit drei von vier Kesseln gut zu
halten ist, für die Fahrt stromaufwärts festgesetzt.
In sanitärer Hinsicht war ein ausreichender
Schutz gegen Moskitos dringend geboten. Es
wurden daher überall für Hängematten, Luks,
Decksfenster, Türen die Moskitonetze der Lan-
dungsausrüstung in Gebrauch genommen. Deiese
6 m langen und Zm breiten Netze wurden für
die Schlafplätze an Deck in drei Teile zerlegt,
so daß sie der einzelnen Hängematte einen sicheren
Schutz gaben. Für die Kammern und Messen
waren außerdem Seitenfenstereinsätze aus Messing-
gaze angefertigt worden.
Die Chininprophylaxe wurde sorgfältig durch-
geführt. Durch diese Maßnahme wurde es er-
reicht, daß die Besatzung wenig unter Mücken-
stichen zu leiden hatte, obwohl uns vor allem
im Bereiche der Mündung und der Sagosümpfe
große Schwärme von Moskitos — Anohpheles
und Kulex — überfielen. Malariafälle sind vor
und nach Ablauf der Gefahrperiode bis auf einen
leichten Fall nach der Flußfahrt nicht aufgetreten.
Mit Rücksicht auf die Möglichkeit eines längeren
Festkommens im Flusse wurde reichlich Proviant
beschafft und lebendes Vieh in größerer Zahl an
Bord genommen. Wie sich später herausstellte,
war es nicht möglich, von den Eingeborenen auf
friedlichem Wege Schweine zu erhalten, obgleich
reiche Bestände vorhanden waren.
Kohlen waren in Friedrich-Wilhelmshafen
rechtzeitig bestellt worden, da sonst dort oder in
größerer Nähe der Flußmündung keine Kohlen=
lager vorhanden sind. 1
Am 18. vormittags standen wir bei mäßiger
nördlicher Dünung in einer Entfernung von etwa
3 bis 4 sm vor der Flußmündung, die indes zu-
nächst nicht auszumachen war, sondern sich nur
durch die gelbe Wasserfärbung, viel Treibholz,
große schwimmende Grasinseln bestimmt vermuten
ließ. Die ausgesprochene Flachebene des Küsten-
landes, die völlig gleichmäßig und dicht mit
Mangroven, Kasuarinen und Sagopalmen be-
standen ist, gab erst bei größerer Annäherung
einen leichten, kulissenartigen Einschnitt zu erkennen.
Die Dampfpinaß wurde ausgesetzt und voraus-
geschickt. Die Einsteuerung verlief unter häufigen
Kursänderungen ohne Zwischenfall. Tiefen unter
Zm wurden nicht gelotet; an den seichteren Stellen
geriet das Schiff heftig ins Rollen. Die genaue
Lage und Form der Barre festzustellen war wegen
Zeitmangels nicht möglich. Nach Passieren der
Barre zeigte sich die östliche Seite der Mündung
als eine fast kanalartig scharfe Ecke, an der die
Breite des schräg zur Küste mündenden Stromes
etwa 1 sm beträgt; das westliche Ufer geht all-
mählich in die Küstenlinie über. Das Flußbett,
in dem das Wasser infolge schon eingetretener