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Togo ist der Aussatz kaum weniger stark verbreitet.
Die Zahl der Neger, bei denen er zur wirklichen,
unmittelbaren Todesursache wird, halte ich nicht
für sehr groß. Aber doch ist er volkswirtschaftlich
von größter Bedeutung. Das im Laufe der Jahre
immer mehr zunehmende Siechtum macht die
Aussätzigen arbeitsunfähig, und ihre Lebensdauer
wird zweifellos verkürzt; denn wenn auch nicht die
Lepra selbst, so bereiten andere hinzutretende
Krankheiten, denen ihr hinfälliger Organismus
keinen genügenden Widerstand mehr entgegenzu-
setzen vermag, ihnen ein vorzeitiges Ende. Zu-
dem birgt jeder vorgeschrittene Aussätzige die
dauernde große Gefahr der Ansteckung für seine
nächste Umgebung. Nennenswerte Maßregeln zur
CEindämmung dieser Seuche haben noch nicht ge-
troffen werden können. Sie würden in der Ab-
sonderung mindestens der schweren Fälle zu be-
stehen haben. Von ähnlich weittragender Bedeu-
lung wie die eben genannten beiden Volkskrank-
heiten scheint neuerdings eine dritte fürchterliche
Seuche, die Schlafkrankheit, zu werden. In Ost-
afrika, in Togo, in Kamerun hat sie ihren Einzug
gehalten; in letzterer Kolonie selbst im Weichbilde
Dualas, des Europäerhauptplatzes. In Togo und
Ostafrika ist der Kampf gegen sie mit großem Nach-
druck aufgenommen, für Kamerun steht er zu er-
hoffen. Außer diesen drei angeführten will ich als
vallswirtschaftlich besonders wichtige endemische
Krankheiten unserer Kolonien nur noch neunen die
Doyxenterie, die Malaria der Negerkinder und die
Syphilis; letztere in Kamerun und Togo in zu-
nehmender Ausbreitung über das Land begriffen
und bekanntlich zu jenen Seuchen gehörig, die nicht
nur das davon befallene Einzelwesen treffen, son-
dern durch ihre Vererbbarkeit auch den kommen-
den Nachwuchs im Keime bedrohen und so die
ohnehin schon geringe Nachkommenschaft der Ein-
geborenen noch weiter zu verringern angetan sind.
Damit sind indessen nur die allerschlimmsten
Feinde des kolonialen Volkshygienikers genannt;
weniger gefährliche oder weniger verbreitete ließen
sich leicht noch in großer Zahl aufführen, ganz zu
schweigen von denen, deren Einschleppung von
außen her uns jederzeit droht, wie die Ein-
schleppung der Pest. Diese kurzen Hinweise wer-
den aber bereits genügen, um zu zeigen, welche
großen Werte auf dem Spiele stehen, welche Güter
zu schützen und zu erhalten die Aufgabe der Kolo-
nialhygiene ist; Riesenwerte gilt es zu schützen!
Die wirtschaftliche Entwicklung einer Kolonie
steht indessen auch noch nach einer anderen Rich-
lung hin mit der kolonialen Volkshygiene in
innigem Zusammenhange, einem Zusammenhange,
der nicht so unmittelbar und drastisch in die Er—
scheinung tritt wie der eben geschilderte, und der
deshalb weniger betont zu werden pflegt, obwohl
er ebenfalls von großer Wichtigkeit ist. Durch die
Besserung der Lebens- und Wirtschaftshaltung der
Eingeborenen, dadurch, daß wir mit dem Ein—
setzen unserer Herrschaft die früheren, verlust—
reichen Kriegszüge der einzelnen Stämme unter-
einander zum Aufhören brachten, durch Unter-
bindung der Sklavenausfuhr, kurz durch Vermitt-
lung eines Teiles unserer Kultur sind die äußeren
Existenzbedingungen der Eingeborenen durch die
kolonisierenden Mächte zweifellos gehoben wor-
den. Auf der anderen Seite werden wir aber bei
näherem Zusehen nicht verkennen, daß gerade die
Volksgesundheit durch gar manche unserer koloni-
satorischen Maßnahmen nicht nur nicht gefördert,
sondern bedroht oder sogar beeinträchtigt wird.
Sehen wir uns nach diesen von mir behaupteten
Schädigungen auf dem uns hier interessierenden
wirtschaftlichen Gebiete um. Seit dem Beginn
unserer Kolonisation ist der Verkehr der Ein-
geborenen untereinander ganz gewaltig vermehrt
worden. Viele Völker, die voneinander nicht viel
erfuhren, außer wenn sie sich in der Fehde begeg-
neten, tauschen friedlich ihre Produkte aus; große
Handelsstraßen, mit Tausenden von Karawanen-
trägern belebt, durchziehen das Land, und da, wo
bereits Bahnen im Betriebe sind, fördern diese die
Berührung der einzelnen Stämme untereinander
in früher nie gekannter Weise. Massenansamm-
lungen von Schwarzen als Arbeiter auf den
Pflanzungen, bei Wege= und Bahnbauten, bei
friedlichen und kriegerischen Expeditionen der
Europäer, all dies bewirkt eine dauernde Fluktua-
tion, die ungleich stärker ist als vor dem Beginne
unserer Verwaltung, und die in ihrer Stärke von
Jahr zu Jahr zunehmen wird. Die früheren
Schranken zwischen den einzelnen Volksstämmen
sind gefallen. An sich gewiß eine erfreuliche Er-
scheinung. Aber je größer und inniger die Be-
rührungsflächen, um so zahlreicher auch die Mög-
lichkeiten zur Verbreitung infektiöser Krankheiten
von Stamm zu Stamm, um so günstiger die Be-
dingungen zum Entstehen einer Epidemie. Wir
sahen schon, daß gerade die Pocken den großen
Verkehrsstraßen folgen; wir wissen, um ein wei-
teres Beispiel anzuführen, daß die Schlafkrankheit
nach Duala kam durch Farbige, die als Händler
oder Arbeiter nach der spanischen Insel Fernando
Po gegangen waren und sich dort infizierten; wir
sehen, daß die Dysenterie bei allen Massen-
ansammlungen farbiger Arbeiter und in Gefäng-
nissen die schwersten Verluste verursacht. Ja es
kann sogar zu der paradoren Erscheinung kommen,
daß wirtschaftlich wichtige und verheißungsvolle
Unternehmungen nicht ohne wirtschaftlich große
Verluste zu erzielen sind. Greifen wir als ein in
dieser Richtung besonders lehrreiches Beispiel den
Bahnbau in unseren Kolonien heraus. Tausende