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halten bleibt, der Wurzelkanal aber freiliegt. Bis
das endgültige Absterben des Zahnnerven ein-
getreten ist, muß diese unvernünftige Operation
an den sehr empfindlichen Schneidezähnen ein
langdauerndes Martyrium hervorrufen. Indessen
behaupten die Männer der Bafurunga (Frauen
unterziehen sich dieser Operation nicht), daß durch
diese Schmerzen andere Krankheiten von ihnen
ferngehalten würden. Ferner reißen sich Männer
und Frauen Augenbrauen und Wimpern aus.
Die Tätowierung besteht aus engangelegten, senk-
recht gehaltenen Parallelstrichen über das ganze
Gesicht. Die Leute gehen nackt bis auf ein
Lendentuch. Um den Hals tragen sie Amulette
von Muscheln, Unterkiefern und Zähnen von
Säugetieren. Eine alte Art der Bezahlung durch
kleine Muscheln, „Zimbu“ genannt, hat sich bis
heute erhalten. Die Muscheln wurden schon vor
Gründung des Kongostaates von den Portugiesen
eingeführt. Ganze Karawanen mit Schafen und
Hühnern gingen seinerzeit nach dem Kap, um
solche Muscheln einzutauschen.
Eine Frau ist bei den Bafurunga 6000 bis
25000 Muscheln wert. Ihre Nahrung sind
Planten, ferner Fufu aus Maniokbrei, der aus
weißem Mehl bereitet wird, und Erdnüsse, von
denen ich sehr große Vorräte gesehen habe.
Die oberflächliche Untersuchung auf Schlaf-
krankheit ergab, daß in dem einen Dorfe eine
Menge Verdächtiger vorhanden war. Die Ein-
geborenen waren so schmutzig, daß meine Jaunde-
und Bangwa-Leute Essen von ihnen nicht an-
nahmen. Die Verständigung mit den Eingeborenen
geschah durch das sog. Bangella, eine Sprache,
die von den Stämmen am unteren
(Kinshassa) gesprochen wird. Diese Leute bilden
beinahe ausschließlich die Bemannung der Fluß-
dampfer, und ihre Sprache, die auch mit einigen
portugiesischen und französischen Idiomen gemischt
ist, hat im ganzen Kongogebiete eine dominierende
Stellung, so daß sie für Kaufleute und Kapitäne
unentbehrlich ist. Sie wird von allen Eingeborenen
im Kongogebiet verstanden, dagegen tritt das
Negerenglisch gänzlich zurück.
Am 14. September wurde abends am fran-
zösischen Ufer in Nganschu, einem sehr gesunden
Platze, gelandet; weder Moskitos noch Glossinen
waren vorhanden. Hier erfuhr ich, daß der
Kapitän des Dampfers „Lucie“, ein Holländer,
wegen Schlafkrankheit den Kongo hinnntergereist
sei, um sich im Institut Pasteur in Behandlung
zu begeben. Das Institut Pasteur in Brazzaville
ist in letzter Zeit bei den Weißen sehr populär
geworden und wird von vielen Europäern auf-
gesucht, die sich auf Schlafkrankheit untersuchen
lassen wollen. Die Schlafkrankheit ist in diesen
Gegenden von den Europäern nicht besonders
Kongo.
gefürchtet. In den ersten Stadien sehen die
Leute gesund aus und zweifeln nicht an ihrer
Genesung. Großes Mißgeschick haben die Ameri-
kaner in der amerikanischen Konzession gehabt;
sie wurden fast alle von Schlafkrankheit befallen,
so daß jetzt nur Belgier in der Konzession an-
gestellt sind. Man schreibt diese Empfänglichkeit
gegen Schlafkrankheit bei den Amerikanern der
Gewohnheit zu, dauernd mit entblößten Armen
umherzugehen und mittags im Stuhl ohne Moskito-
netz auf der Veranda zu ruhen. So setzen sie
sich den Stichen der Glossinen aus.
Es mag sonderbar erscheinen, daß im bel-
gischen Kongostaate so viel von Amerikanern,
Holländern u. a. die Rede ist. Tatsache ist, daß
unter den Beamten des Kongostaates nur etwa
die Hälfte Belgier sind. Meistens sind es Skan-
dinavier, Italiener und Schweizer. In der
Handelsmarine sind meistens Skandinavier an-
gestellt. Der stellvertretende Commissaire du
districte Heer in Leopoldville ist Schweizer.
Arzte und Richter sind meist Italiener. Deutsche
sollen unter den Beamten gar keine, in der
Handelsmarine sehr wenige sein.
Am 15. September passierten wir die Cassai-
mündung. An dieser liegt das Dorf Santa
Maria, dessen Einwohner vor Jahren fast alle
durch die Schlafkrankheit hinweggerafft worden
sind. Der dort stationierte katholische Priester
hat seinen Wohnsitz aufgegeben. Viele Olpalmen
und Gebäudereste sind an der Stelle des Dorfes
zu sehen. Es ist durchaus frei vom Busch und
in einer hügeligen Landschaft gelegen.
Abends landeten wir in Lefini und passierten
am 16. Tschumbiri, wo sich eine Baptisten-
mission befindet. Eine große Menge Eingeborener
war am Lande versammelt, um Enten, Planten,
Zuckerrohr und Erdnüsse zu verkaufen. Der
Kongo verbreitert sich in dieser Gegend manch-
mal zu einem wahren See, und die Ufer, welche
von Brazzaville an hügelig waren, werden flacher.
Die Regenzeit am oberen Kongo und Sanga
macht sich von Mitte September an bemerkbar,
das Wasser wird dann trübe. Der Fluß bildet
hier nicht mehr eine Einheit, er wird vielmehr
durch zahlreiche Inseln und Arme geteilt, so daß
der Ubergang in den Sanga nicht deutlich er-
kennbar ist. An manchen Orten, wo übernachtet
wurde, waren geradezu erstaunliche Mengen von
Culices vorhanden; der Aufenthalt wird dadurch
für einen Weißen unerträglich. Berüchtigt sind
die Orte Bonga und Mossaka wegen dieser
Plage. Mehrere Stationen wurden deshalb von
den Weißen verlassen und mit schwarzen Agenten
(bei den Franzosen „Senegalesen“) besetzt. Ein
Dorf haben wegen der massenhaft auftretenden
Moskitos selbst die Schwarzen verlassen. Das