Full text: Deutsches Kolonialblatt. XXI. Jahrgang, 1910. (21)

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halten bleibt, der Wurzelkanal aber freiliegt. Bis 
das endgültige Absterben des Zahnnerven ein- 
getreten ist, muß diese unvernünftige Operation 
an den sehr empfindlichen Schneidezähnen ein 
langdauerndes Martyrium hervorrufen. Indessen 
behaupten die Männer der Bafurunga (Frauen 
unterziehen sich dieser Operation nicht), daß durch 
diese Schmerzen andere Krankheiten von ihnen 
ferngehalten würden. Ferner reißen sich Männer 
und Frauen Augenbrauen und Wimpern aus. 
Die Tätowierung besteht aus engangelegten, senk- 
recht gehaltenen Parallelstrichen über das ganze 
Gesicht. Die Leute gehen nackt bis auf ein 
Lendentuch. Um den Hals tragen sie Amulette 
von Muscheln, Unterkiefern und Zähnen von 
Säugetieren. Eine alte Art der Bezahlung durch 
kleine Muscheln, „Zimbu“ genannt, hat sich bis 
heute erhalten. Die Muscheln wurden schon vor 
Gründung des Kongostaates von den Portugiesen 
eingeführt. Ganze Karawanen mit Schafen und 
Hühnern gingen seinerzeit nach dem Kap, um 
solche Muscheln einzutauschen. 
Eine Frau ist bei den Bafurunga 6000 bis 
25000 Muscheln wert. Ihre Nahrung sind 
Planten, ferner Fufu aus Maniokbrei, der aus 
weißem Mehl bereitet wird, und Erdnüsse, von 
denen ich sehr große Vorräte gesehen habe. 
Die oberflächliche Untersuchung auf Schlaf- 
krankheit ergab, daß in dem einen Dorfe eine 
Menge Verdächtiger vorhanden war. Die Ein- 
geborenen waren so schmutzig, daß meine Jaunde- 
und Bangwa-Leute Essen von ihnen nicht an- 
nahmen. Die Verständigung mit den Eingeborenen 
geschah durch das sog. Bangella, eine Sprache, 
die von den Stämmen am unteren 
(Kinshassa) gesprochen wird. Diese Leute bilden 
beinahe ausschließlich die Bemannung der Fluß- 
dampfer, und ihre Sprache, die auch mit einigen 
portugiesischen und französischen Idiomen gemischt 
ist, hat im ganzen Kongogebiete eine dominierende 
Stellung, so daß sie für Kaufleute und Kapitäne 
unentbehrlich ist. Sie wird von allen Eingeborenen 
im Kongogebiet verstanden, dagegen tritt das 
Negerenglisch gänzlich zurück. 
Am 14. September wurde abends am fran- 
zösischen Ufer in Nganschu, einem sehr gesunden 
Platze, gelandet; weder Moskitos noch Glossinen 
waren vorhanden. Hier erfuhr ich, daß der 
Kapitän des Dampfers „Lucie“, ein Holländer, 
wegen Schlafkrankheit den Kongo hinnntergereist 
sei, um sich im Institut Pasteur in Behandlung 
zu begeben. Das Institut Pasteur in Brazzaville 
ist in letzter Zeit bei den Weißen sehr populär 
geworden und wird von vielen Europäern auf- 
gesucht, die sich auf Schlafkrankheit untersuchen 
lassen wollen. Die Schlafkrankheit ist in diesen 
Gegenden von den Europäern nicht besonders 
Kongo. 
  
gefürchtet. In den ersten Stadien sehen die 
Leute gesund aus und zweifeln nicht an ihrer 
Genesung. Großes Mißgeschick haben die Ameri- 
kaner in der amerikanischen Konzession gehabt; 
sie wurden fast alle von Schlafkrankheit befallen, 
so daß jetzt nur Belgier in der Konzession an- 
gestellt sind. Man schreibt diese Empfänglichkeit 
gegen Schlafkrankheit bei den Amerikanern der 
Gewohnheit zu, dauernd mit entblößten Armen 
umherzugehen und mittags im Stuhl ohne Moskito- 
netz auf der Veranda zu ruhen. So setzen sie 
sich den Stichen der Glossinen aus. 
Es mag sonderbar erscheinen, daß im bel- 
gischen Kongostaate so viel von Amerikanern, 
Holländern u. a. die Rede ist. Tatsache ist, daß 
unter den Beamten des Kongostaates nur etwa 
die Hälfte Belgier sind. Meistens sind es Skan- 
dinavier, Italiener und Schweizer. In der 
Handelsmarine sind meistens Skandinavier an- 
gestellt. Der stellvertretende Commissaire du 
districte Heer in Leopoldville ist Schweizer. 
Arzte und Richter sind meist Italiener. Deutsche 
sollen unter den Beamten gar keine, in der 
Handelsmarine sehr wenige sein. 
Am 15. September passierten wir die Cassai- 
mündung. An dieser liegt das Dorf Santa 
Maria, dessen Einwohner vor Jahren fast alle 
durch die Schlafkrankheit hinweggerafft worden 
sind. Der dort stationierte katholische Priester 
hat seinen Wohnsitz aufgegeben. Viele Olpalmen 
und Gebäudereste sind an der Stelle des Dorfes 
zu sehen. Es ist durchaus frei vom Busch und 
in einer hügeligen Landschaft gelegen. 
Abends landeten wir in Lefini und passierten 
am 16. Tschumbiri, wo sich eine Baptisten- 
mission befindet. Eine große Menge Eingeborener 
war am Lande versammelt, um Enten, Planten, 
Zuckerrohr und Erdnüsse zu verkaufen. Der 
Kongo verbreitert sich in dieser Gegend manch- 
mal zu einem wahren See, und die Ufer, welche 
von Brazzaville an hügelig waren, werden flacher. 
Die Regenzeit am oberen Kongo und Sanga 
macht sich von Mitte September an bemerkbar, 
das Wasser wird dann trübe. Der Fluß bildet 
hier nicht mehr eine Einheit, er wird vielmehr 
durch zahlreiche Inseln und Arme geteilt, so daß 
der Ubergang in den Sanga nicht deutlich er- 
kennbar ist. An manchen Orten, wo übernachtet 
wurde, waren geradezu erstaunliche Mengen von 
Culices vorhanden; der Aufenthalt wird dadurch 
für einen Weißen unerträglich. Berüchtigt sind 
die Orte Bonga und Mossaka wegen dieser 
Plage. Mehrere Stationen wurden deshalb von 
den Weißen verlassen und mit schwarzen Agenten 
(bei den Franzosen „Senegalesen“) besetzt. Ein 
Dorf haben wegen der massenhaft auftretenden 
Moskitos selbst die Schwarzen verlassen. Das
	        
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