Full text: Deutsches Kolonialblatt. XXIII. Jahrgang, 1912. (23)

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Herr Präsident Dr. Heiligenstadt: Auch 
im Deutschen Reiche sei die Frage des Ernte- 
kredits schon aufgetaucht und sei großen Schwie- 
rigkeiten begegnet. Eingehender habe man sich 
in Frankreich mit dem Erntekredit, der dort bei 
dem warrant agricole eine Rolle spiele, beschäf- 
tigt, ohne daß man große Erfolge erzielt hätte. 
Herr Dr. Salomonsohn: In Brasilien 
seien mit der Gewährung von Vorschüssen an 
Kaffeepflanzer unter Verpfändung der Ernte gute 
Erfolge erzielt worden. Die Darlehenshingabe 
vollziehe sich in der Weise, daß ein Kommissionär 
das Geld bei der Bank aufnähme und es an die 
Pflanzer, die ihm als zuverlässig bekannt seien 
und die er ständig überwache, weitergebe. Die 
Gewährung des Erntekredits sei allerdings inso- 
fern erleichtert, als man bei Kaffeepflanzungen 
schon im Jahre vorher den Ausfall der Ernte 
erkennen könne. Ob für Ostafrika ein Erntekredit 
in Frage käme, hänge vorwiegend davon ab, 
welche Produkte dort gewonnen würden. 
Der Vorsitzende gab Auskunft, daß die 
wichtigsten pflanzlichen Prodnkte Kautschuk und 
Sisal seien, daß am Kilimandscharo gemischte 
Wirtschaften bestünden und daß auch Baumwolle 
im Schutzgebiet angepflanzt würde. 
Herr Senator Strandes: Die Versuche im 
Anbau mit Kaffee und Tabak seien mißlungen; 
hinsichtlich der Baumwolle befinde man sich noch 
im Anfangsstadium. Für Kautichuk gälten zur 
Zeit rentable Preise; über die Zukunft dieses 
Produkts seien aber die Ansichten geteilt. Jeden- 
falls sei im Schutzgebiet die Gewinnung des 
Kautschuls im Vergleich der sehr leistungsfähigen 
Straits Settlements mit sehr hohen Kosten ver- 
bunden. Auch sei stark an eine Uberproduktion 
zu denken. Die Zukunft der Kautschukplantagen 
in Ostafrika wäre also noch sehr unsicher, so daß 
von privater Seite eine Befriedigung des Kredit- 
bedürfnisses nicht erfolgen werde, vielmehr ein 
Eingreifen des Staates erforderlich sei. 
Der Grund und Boden käme als Beleihungs- 
objekt kaum in Frage, solange noch der Regierung 
Land zur Abgabe an Siedler in so reichem Maße 
zur Verfügung stehe. 
Herr Fabarius: In Brasilien werde aller- 
dings mit gutem Erfolg auf die stehende Ernte 
in reichem Umfange Kredit gewährt. Die Darlehns= 
gewährungen seien jedoch lediglich private Unter- 
nehmungen, und es bestände daher keine Möglichkeit, 
das System Brasiliens behördlich einzuführen. 
Gesetzlich sei dieser Kredit in Brasilien nicht 
geregelt. 
Der Vorsitzende: Er dürfe hiernach wohl 
als die Meinung der Mitglieder feststellen: 
  
Sofern ein Kreditbedürfnis der Grundeigen- 
tümer bestehe, sei der gegebene Weg die Gründung 
von Genossenschaften, wegen der gerade bei Ge- 
nossenschaften möglichen Kontrolle des einen 
Darlehnsnehmers durch den anderen. Es könne 
also insoweit das hinsichtlich der Kreditorganisation 
in Südwestafrika Gesagte mit den Anderungen, 
durch die der Verschiedenheit der Verhältnisse 
Rechnung getragen würde, hierher übernommen 
werden. 
Soweit ein Kreditbedürfnis der Landpächter 
in Frage stehe, könne es sich nur um die Ge- 
währung rein persönlichen Kredits handeln. 
Herr Geheimrat Zoepfl ging, nachdem er 
bemerkt hatte, daß doch auch in Brasilien ein 
Erntekredit nur auf besonderer rechtlicher Grund- 
lage möglich sei, näher auf die Organisation ein, 
die Frankreich hinsichtlich des warrant agricole 
getroffen hat: 
Das Gesetz vom 11. Juli 1851 regelte die 
Bedingungen und das Verfahren der Darlehus- 
gewährung gegen Verpfändung der Ernten, 
wie folgt: 
„Es kann ein Vorschuß nur bewilligt werden 
für die Dauer von 120 Tagen. Zede Person, 
welche bei der Bank eine Anleihe gegen Uber- 
lassung der Ernte aufnehmen will, hat ihre 
Absicht einen Monat vorher schriftlich bekannt zu 
geben. Ein Beamter der Finanzverwaltung trägt 
in ein Register alle Darlehensverträge dieser Art, 
die in seinem Bezirk abgeschlossen worden sind, 
sowic alle Erklärungen und Einsprüche, zu welchen 
die Verträge Anlaß geben, ein. Jeder Gläubiger, 
welcher eine Hypothek auf einem Grundstück, oder 
ein Vorzugsrecht auf die Ernte besitzt oder Inhaber 
eines Vollstreckungsbefehls ist, kann gegen eine 
Vorschußgewährung Einspruch erheben. Dieses 
Recht hat besonders der Benefiziat-Erbe, welcher 
Gläubiger des Verkaufspreises eines Grundstückes 
der Erbschaft ist, auf welchem sich die verpfändete 
Ernte befindet. Es ist nicht einmal nötig, daß 
die Schuldforderung eine sichere und klare sei, 
um dieselbe geltend zu machen. 
Nach einem Monat, wenn kein Hindernis 
mehr vorliegt, kann der Darlehensvertrag ab- 
geschlossen werden, und von nun an wird die 
Bank uls Eigentümerin der Ernte botrachtet. 
Demzufolge übt sie ihre Rechte auf die Werto, 
welche von der Ernte herrühren, aus, un- 
geachtet der Rechte anderer Gläubiger, welche 
versäumt haben, in der vorgeschriebenen 
Weise Einspruch zu erheben. Nichtsdestoweniger 
müßte, wenn eine vor der Eintragung des Vor- 
schusses bereits eingetragene Pfandverschreibung
	        
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