Full text: Deutsches Kolonialblatt. XXIII. Jahrgang, 1912. (23)

W 434 20 
NUachrichten aus den deutschen Schutzgebieten. 
(Abdruck der Nachrichten vollständig oder teilweise nur mit Quellenangabe gestattet.) 
Deutsch-Ostafrika. 
Der Kampf gegen die Schiafhrankbeit. 
Auszug aus einem Bericht des Generaloberarztes 
Professors lr. Stendel über seine Dienstreise 
nach Deutsch-Ostafrika. 
(Mit 16 Abbildungen und 4 Kartenfkigzen.) 
Dem erhaltenen Auftrag entsprechend habe ich 
die meiste Zeit in Deutsch-Ostafrika zum Studium 
der Schlafkrankheit verwendet. Da die Ver- 
hältnisse am Viktoriasee wesentlich anders liegen als 
am Tanganikasce, so muß ich über beide Seen 
gesondert berichten. 
*# *# 
Die Schlafkrankheit am Viktoriasee. 
Zuerst besuchte ich den im Schirati-Bezirk ge- 
legenen größten endemischen Krankheitsherd des 
deutschen Teils des Viktoriasees. In Schirati 
selbst, wo früher ein Schlafkrankenlager gewesen 
ist, waren zur Zeit meiner Anwesenheit nur noch 
fünf in den Dörfern nördlich von Schirati nahe 
der englischen Grenze zerstreut wohnende Kranke 
in ambulanter Behandlung. Am Seeufer war 
die Schlafkrankheitsfliege infolge der Abholzungen 
verschwunden. Der hauptsächliche Herd befindet 
sich landeinwärts am Morifluß. 
Das an diesem Fluß gelegene Schlafkranken- 
lager Utegi (Stabsarzt Dr. Breuer) liegt im 
Mittelpunkt des Herdes dicht am Fluß dem 
Winde wenig zugänglich und deshalb hygienisch 
ungünstig, zumal der Morifluß während eines 
großen Teils des Jahres kein fließendes Wasser 
hat, sondern nur stehende Lachen an den 
niedersten Punkten, welche Mücken gute Ge- 
legenheit zur Brut bieten. Die Europäer in 
Utegi sind daher gezwungen, der Malariagefahr 
wegen beständig Chininprophylaxe zu treiben. 
Die aus einheimischem Material gebauten fünf 
einfachen Gebände dienen als Wohnhaus für den 
Arzt, Wohnhaus für den Sanitätsunteroffizier und 
Magazin, Laboratorium und Behandlungsstelle, 
Stall für Reittiere und für Versuchstiere (Affen). 
Das Schlafkrankenlager besteht außerdem aus einer 
offenen mit Eingeborenenhütten bestandenen Straße, 
in welcher zur Zeit meiner Anwesenheit 53 Kranke 
wohnten und verpflegt wurden (Abb. 1). Unter den 
Kranken befanden sich viele Schwerkranke im letzten 
Stadium, andere waren im Zustande momentanen 
Wohlbefindens; bei allen Kranken lag der Be- 
ginn der Krankheit mindestens ein bis zwei Jahre 
zurück. Nach Mitteilung von Stabsarzt Dr. Breuer 
befinden sich in den umliegenden Dörfern der 
Wagaia noch zahlreiche Kranke, da in der Haupt- 
  
sache nur solche, welche freiwillig herbeigebracht 
werden, im Lager Aufnahme finden. Zwangsweise 
Unterbringung im Lager wird vermieden, weil die 
Wagaia früher bei einem solchen Versuch in das 
benachbarte englische Gebiet ausgewichen sind. 
Sie sind zwar wieder zurückgekehrt, eine Wieder- 
holung der Auswanderung würde aber nur unter 
Aufbietung unverhältnismäßig großer Machtmittel 
und selbst dann nicht sicher zu verhindern sein. 
Zwangsweise Unterbringung und Behandlung hat 
sich nicht nur bei den Wagaia, sondern noch mehr 
bei den Warundi am Tanganikasee als undurch- 
führbar und schädlich erwiesen; wie notwendig 
es aber trotzdem ist, wenigstens einige Räume 
zur Isolierung Tobsüchtiger zu haben, zeigte ein 
Vorgang, der während meiner Anwesenheit sich 
ereignet hat. Als wir uns dem Schlafkranken- 
lager näherten, umtanzte uns ein Schlafkranker 
mit lautem Geschrei in offenkundiger psychischer Er- 
regung. Er schien harmlos. Am folgenden Tage 
aber hatte er einen gesunden Eingeborenen, der 
ihm das Eindringen in seine Hütte verwehren 
wollte, mit dem Speere erstochen. Der Kranke 
wurde nun in Ermangelung eines Isolierraumes 
an den Mittelpfosten einer Hütte angefesselt. Die 
Zahl der Kranken in dem Krankheitsherd am 
Morifluß wird insgesamt auf etwa 1000 ge- 
schätzt, wovon jetzt die Mehrzahl gestorben oder 
zu kleinem Teil geheilt sein dürfte. Die übrigen 
Kranken erhalten, soweit sie nicht im Kranken- 
lager sind, in Utegi und auf der einige Stunden 
flußabwärts gelegenen Behandlungsstelle Ukeroni 
in ambulanter Behandlung Atoxyleinspritzungen. 
Ukeroni ist zur Zeit nicht mehr besetzt; an den 
14tägig wiederkehrenden Behandlungstagen be- 
gibt sich der Sanitätsunteroffizier von Utegi dahin. 
Der Ort der Ansteckung war früher das Ufer 
des Moriflusses, aus dem auch die entfernt vom 
Fluß gelegenen Wagaia-Dörfer sämtliches Wasser 
für sich und ihr Vieh entnehmen. Gelegentlich 
der Wasserentnahme, Tränkung des Viehs, des 
Fischens und Badens wurden die Leute dann 
von der Glossina palpalis gestochen. Nachdem 
das Ufer des Mori und seines Nebenflusses Mulali, 
soweit die Glossina palpalis sich vorfand, in einer 
Länge von insgesamt etwa 30 km abgeholzt 
worden ist, ist jetzt die Fliege verschwunden. Bei 
meinem Besuche des Mori und Mulali war keine 
Glossina palpalis mehr zu entdecken; nach Stabs- 
arzt Dr. Breuers Aussage fand sie sich nur noch 
an einer Stelle, welche wissenschaftlicher Versuche 
wegen nicht abgeholzi worden war, in wenigen 
Eremplaren. Zetzt dürfte sie auch hier vertrieben
	        
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