Full text: Deutsches Kolonialblatt. XXIV. Jahrgang, 1913. (24)

53 0 
A. Verwaltungsrecht. 
Die weitgehende Verwendung des sogenannten 
indirekten Systems auf dem Gebiete der Verwaltung 
hat es mit sich gebracht, daß besondere gesetzliche Be- 
stimmungen über die Verwendung der Eingeborenen 
in der Verwaltung nur ausnahmsweise ergangen sind. 
Die Anpassung der alten Institutionen an die An- 
sforderungen der Neuzeit blieb in erster Linie der Ein- 
sicht und dem Takt der Residenten überlassen. Nach 
Möglichkeit wurden sie erhalten und durch kräftigen 
Bechtsschutz gestärkt. Hinzu traten einzelne Sonder- 
bestimmungen. So können unruhige Gebiete durch 
Bekanntmachung des Gouverneurs gesperrt werden 
mit der Wirkung, daß zum Betreten des Gebietes 
schriftliche Erlaubnis des Präsidenten erforderlich ist 
(gl. The unsetutel District Procl. Nr. 19/02). In Ge- 
mäßheit dieser Bestimmung sind die Gebiete der 
Munshi, Okpoto, Mentoil und Wurkum und der nörd- 
liche Teil der Provinzen Katagum und Bornu ge- 
sverrt worden. Auf gleichen Erwägungen beruht die 
Jative Chief Procl. Nr. 9/09, die eine Anzahl auf- 
ständischer Häuptlinge aus ihrer Heimat verweist und 
ibnen ein Zwangsdomizil in anderen Bezirken anweist. 
Nach der Cantonments Procl Nr. 28/04 (mehrfach 
heändert) ) können bestimmte Gebiete als Cantonments 
erklärt werden. In ihnen sind bezüglich Straßenbau, 
Abortwesen, Schlachthäuser, Marktplätze, allgemeiner 
Oygiene und Unterdrückung groben Unfugs und Un- 
gehörigkeiten aller Art strenge, europäischen Bedürfnissen 
emsprechende Anordnungen getroffen. Für die Ver- 
waltung dieses Cantonments-Bezirks wird eine Art 
Bürgermeister, der Cantonment-Magistrate, ernannt. 
Er kann Zuziehenden die Niederlassung verbieten. Bei 
Eingeborenen kann dies ganz formlos geschehen. Die 
Cantonments bezwecken also eine Sonderung der 
Europäerwohnungen von denen der Eingeborenen. 
Dies ist z. B. in hervorragender Weise in Lokoja er- 
reicht. Durch Anordpung des Gouverneurs können 
die Bestimmungen der Proclamation aus gesundheitlichen 
ücksichten auf den Cantonments benachbarte Ein- 
geborenen-Städte ausgedehnt werden. 
Innerhalb der Verwaltung in den Provinzen er- 
bielten die noch weiter unten näher zu schildernden 
Jative Courts die Befugnis, Bestimmungen zur Auf- 
rechterhaltung des Friedeus unter den Eingeborenen 
und zur Regelung der Förderung des Handels zu er- 
lassen, Stammesrecht festzulegen und den Inhalt von 
roklamationen des Protektorats in das Stammegrech 
zu übernehmen (vgl. § 21 der Native Courts Proc 
Kr. 1/00). Gemäß der Road= Procl. (Nr. 9/03 und 
12/04) können den Emiren (King), Häuptlingen und 
Altesten für ihren jeweiligen Bezirk der Bau und die 
Unterhaltung von Wegen auferlegt werden. Sie werden 
ibrerseits ermächtigt, die arbeitsfähigen Männer bis 
zu sechs Tagen in jedem Vierteljahr zu Arbeiten an 
den Wegen heranzu #iehen, im ganzen Jahr also bis zu 
24 Tagen. Da die Eingeborenen außerdem zur Zahlung 
von Abgaben verpflichtet sind, so ist ihre Belastun 
mit öffentlichen Leistungen hier also eine akbeblich 
yrößere als z. B. in Togo. Durch die Native Revenue 
..Die Verordnungen heißenhier noch Proclamations 
Eine bestimmte Regel für den Gebrauch der Bezeich- 
nungen Ordinances und Proclamations besteht nicht, 
doch bflegen die von einem Gouverneur erlassenen Ver- 
ordnungen .Ordlinances= und die von einem High 
missioner erlassenen -Proclamations- genannt zu 
werden. In Nordnigerien hat man, obwohl der oberste 
Beamte jetzt den Titel Gouverneur führt, die alte Be- 
zeichnung „Proclamation= noch beibehalten. 
  
  
  
  
Procl. Nr. 2/06 sind nämlich schon die früher im Lande 
üblichen Tribute, Steuern und Abgaben geregelt. Die 
von den verschiedenen Stammesgemeinschaften eines 
Bezirks zu leistenden Tribute und Steuern werden von 
dem Residenten bestimmt. Sie werden erhoben nach 
Maßgabe des Wertes des in Benutzung genommenen 
Grund und Bodens, des jährlichen Ertrages des Handels 
oder sonstigen Erwerbes und des Wertes der Herden. 
Alljährlich werden hierzu Schätzungen von Residenten 
vorgenommen. Für die Ausführung dieser Schätzung, 
die sich an das schon früher übliche System anlehnt, 
und die Einziehung der Abgaben kann der Resident 
nach Bedarf Steuereinzieher (headmen) ernennen, die 
von den eingegangenen Steuern einen gewissen. Prozent- 
satz als Belohnung erhalten. Von den eingebenden 
Beträgen sind an den Residenten zugunsten des 
Protektoratsfiskus die Hälfte der allgemeinen Steuern 
und Tribute, die Hälfte des -Kurdin sarauta-, d. h. 
der Geschenke, die der Empfänger eines Amtes na 
altem Brauch an den Verleiher des Amtes zu geben 
hat, und des -Jangali-, der Viehsteuer, und der Ge- 
samtbetrag der -gaisaa-, abzuführen. Die »gaisaa« ist 
eine Art Sonveränitätssteuer, sie besteht aus freiwilligen 
Geschenken, die zur Anerkennung der Souveränität des 
Oberhauptes von Häuptlingen, die die Hauptstadt be- 
suchen, oder aus Anlaß von Festen geliefert werden. 
Die früher bei der Einziehung dieser Steuern 
herrschenden Mißbräuche sind durch die britische Ver- 
waltung abgeschafft worden. Soweit die Steuern nicht 
an den Fiskus fließen. verbleiben sie den Häuptlingen 
nach Stammesrecht. Gemäß Anordnung vom 29. 10. 07 
erhält der Emir von Sokoto (als Serikin Muslimin) 
ein Drittel aller im Emirat von Sokoto erhobenen 
Steuern, mit Ausnahme der - Jangali- und Kurdin 
  
Mit dieser direkten Besteuerung, die dem Protektorat 
im Jahre 1910/11 eine Einnahme von 8 180 489.—.— 
brachte, stellt sich Nordnigerien in wesentlichen Gegen- 
satz zur Praxis der Goldküste und vor allem auch zu 
der Südnigeriens. Die früher bestandene Karawanen- 
Steuer ist 1907 wieder aufgehoben. Eine Hundesteuer 
wird nur in den Cantonmenis erhoben, hat also fast 
dusschließlich nur für Europäer Bedentung. 
Auf dem Gebiet des Erziehungswesens hat man 
den Versuch gemacht, die aus der übernahme des 
mutterländischen Systems auf die Kolonien entstehenden 
Übelstände zu vermeiden, indem man für die Gouver- 
nementsschule in Nassarawa die Methode der ägyptischen 
Sudan-Schulen übernahm. Die Schulen enthalten sich 
jeder Einwirkung auf die religiösen Anschauungen der 
Schüler. Es wird auf ihnen Lesen und Schreiben des 
Haussa in lateinischen Buchstaben. Rechnen, Geographie 
und Geschichte gelehrt, außerdem landwirtschaftlicher 
Unterricht und Unterricht in Handfertigkeiten erteilt. 
Vorläufig werden hauptsächlich nur Söhne von Häupt- 
lingen und Personen, die ÄAmter innerhalb der Ein- 
geborenen-Verwaltung bekleiden, unterrichtet, um so vor 
allem die Anwärter für die Beamtenstellen innerhalb 
der Eingeborenen-Verwaltung geeignet vorzubilden. 
Nach und nach soll die Schule so ausgebaut werden, 
daß sie auch Angestellte für das Gouvernement liefern 
kann und damit die bisher noch aus den Küstenkolonien 
bezogenen farbigen Angestellten überflüssig macht. 
Muhammedanische Eingeborenenschulen, in denen 
der Koran und die arabischen Kommentare des Koran 
gelehrt werden, sind über die ganzen nördlichen Pro- 
vinzen verbreitet. Die Missionen wirken, abgesehen 
von Zaria, vorläufig nur unter den Heidenstämmen 
des Protektorats. Man hat Bedenken, ihnen in den 
muhammedanischen Staaten in weiterem Umfang die 
Wirksamkeit zu gestatten, da man Konflikte zwischen 
  
  
 
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.